Saint-Boniface-Kathedrale in Winnipeg

Winnipeg, LKW-Fahrer & Schneewanderung

Im Jahr 2018 war ich elf Monate lang zum Reisen und Arbeiten in Kanada. Unter dem Titel »Quer durch Kanada« habe ich über meine Erlebnisse berichtet.

Draußen sind es -18 Grad und es schneit etwas. Ich sitze derweil im Aufenthaltsraum eines Hostels. Zeit für Ausgabe zwei dieses Rundbriefs aus Kanada.

Als ich euch vor etwa zwei Wochen schrieb, war ich gerade auf dem Weg nach Winnipeg, Manitobas Hauptstadt. In der ersten Nacht bin ich im Stadtviertel Saint Boniface untergekommen, laut meinem Reiseführer Kanadas älteste französische Gemeinde außerhalb Québecs. Dort sind viele alt aussehende Gebäude zu sehen, obwohl sie meist gar nicht so alt sind. Die Kathedrale beziehungsweise die davon übriggebliebene Fassade stammt zum Beispiel aus dem Jahr 1906. Der Rest des Baus wurde durch ein Feuer zerstört, weshalb sich dahinter ein kleinerer Neubau befindet.

Am Ort des heutigen Stadtviertels Saint Boniface befand sich früher einmal die Red-River-Kolonie, die größte Siedlung der Métis. Als Métis, französisch für Mischlinge, werden heute Kanadier mit First-Nations- und europäischen Wurzeln bezeichnet und sie zählen zur Gruppe der Ureinwohner. In der Red-River-Kolonie wurde auch Louis Riel geboren, der sich für die Rechte der Métis einsetzte und zwei Widerstandsbewegungen anführte.

Nach seiner Gründung 1867 bestand der kanadische Staat nämlich nur aus den Provinzen Nova Scotia, New Brunswick, Prince Edward Island, Ontario und Québec im Osten. Schnell sollten weitere Gebiete Teil des jungen Staats werden, weshalb die Regierung das riesige Rupert’s Land von der Handelsgesellschaft Hudson’s Bay Company abkaufte. In diesem Gebiet lebten jedoch viele Métis, weshalb es zum Streit um Nutzungsrechte mit der kanadischen Regierung kam. Riel formte deshalb eine Übergangsregierung und verhandelte mit Kanadas Regierung über die Rechte der Métis. Vielen Forderungen wurde entsprochen, weshalb das Gebiet neu aufgeteilt in Manitoba und die Northwest Territories 1870 Kanada beitrat.

Louis Riel-Statue vor dem Parlamentsgebäude in Winnipeg
Louis Riel-Statue vor dem Parlamentsgebäude in Winnipeg – Foto: Jonas Schönfelder

Bei einem späteren Streit zwischen den Métis und der Regierung kehrte der zwischenzeitlich in die USA geflohene Louis Riel nach Kanada zurück und wurde 1885 wegen Hochverrats erhängt. Mehr als hundert Jahre später entschuldigte sich die kanadische Regierung dafür. Vor dem Parlamentsgebäude in Winnipeg steht heute eine Statue Riels.

Nach der ersten Nacht konnte ich wieder einen Schlafplatz über Couchsurfing finden. Fünf Nächte habe ich bei Maria und Lauren verbraucht, mit denen ich mich sehr gut verstanden habe. Maria kommt aus Chemnitz, ist seit einem halben Jahr in Kanada und arbeitet dort in einer Einrichtung, die Migranten unterstützt. Lauren ist in Winnipeg geboren und unterrichtet Englisch und Geschichte an einer Schule. Da sie ein Jahr lang in Deutschland gelebt hat, spricht sie sehr gut Deutsch.

In Winnipeg bin ich bislang am längsten von allen Orten geblieben. Das lag zum einen daran, dass ich ein paar Museen besucht und neben Maria und Lauren noch ein paar andere nette Menschen kennengelernt habe. Zum anderen war aber mein ursprünglicher Plan, dort nach Arbeit zu suchen, um dann in den Norden Manitobas zu fahren. Diesen Plan habe ich dann aber recht spontan wieder geändert und habe mich weiter nach Westen bewegt. Den einen ausschlaggebenden Grund gab es dafür nicht, es war eher ein Gefühl.

Das Trampen hat mal wieder gut geklappt, sodass ich in einem Tag von Winnipeg nach Regina (Saskatchewans Hauptstadt) gelangt bin. Der letzte Fahrer, der mich an dem Tag mitgenommen hat, war ein Ureinwohner Kanadas und sehr religiös. Er erzählte mir, dass Gott ihm sagte, er solle mich mitnehmen. Na gut, mir soll es recht sein.

Am nächsten Mittag wurde ich mal wieder von einem LKW-Fahrer mitgenommen, mit dem ich letztlich über 20 Stunden verbrachte. William, so sein Name, musste nahe Regina nämlich noch den Anhänger wechseln. Da wir auf den Neuen vier Stunden warten mussten, schafften wir es abends nicht mehr bis nach Calgary, weil die maximale Dauer seiner Schicht ausgereizt war. Er bot mir deshalb an, mit ihm im LKW zu schlafen, was ich gerne annahm. Ich muss sagen, dass ich das gar nicht so schlecht fand. Zwar vibrierte die Kabine durch den dauerhaft laufenden Motor, sodass es sich wie auf einer Fähre anfühlte, aber ich hatte meine eigene Ebene im Etagenbett und konnte 7,5 Stunden durchschlafen. Am Morgen sind wir dann die restlichen zwei Stunden nach Calgary gefahren, wo wir noch zusammen gefrühstückt und sich dann unsere Wege getrennt haben.

In diesem LKW konnte ich auch prima schlafen.
In diesem LKW konnte ich auch prima schlafen. – Foto: Jonas Schönfelder

LKW-Fahrer dürfen in Kanada 13 Stunden pro Tag fahren, was vermutlich den großen Distanzen geschuldet ist. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass sich Fahrer so lange auf den Verkehr konzentrieren können. In der EU dürfen Fernfahrer dagegen nur neun und zweimal pro Woche zehn Stunden am Tag fahren.

In der langen Zeit haben William und ich natürlich viel geredet. Ich habe das Trampen generell als gute Möglichkeit entdeckt, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, mit denen ich sonst eher nicht in Kontakt käme.

So auch William, der 71 Jahre alt ist und in Saskatchewans größter Stadt, Saskatoon, wohnt. Er erzählte mir, dass seine Eltern bei einem Autounfall starben, als er sechs Monate alt war. Er sei daraufhin bei Pflegeeltern aufgewachsen, die zur Gruppe der Cree-Indianer gehörten. Wie viele andere Kinder kanadischer Ureinwohner wurde er dann in einer Residential School unterrichtet, wo das Sprechen der Muttersprache verboten war und nur auf Englisch oder Französisch kommuniziert werden durfte. Die Residential Schools sind ein dunkles Kapitel der kanadischen Geschichte. Für Interessierte verlinke ich den Wikipedia-Artikel.

Mit 17 sei er dann Soldat in der US-Armee geworden und habe im Vietnamkrieg gekämpft. Nachdem er einige Jahre als Koch gearbeitet hatte, fährt er seit 40 Jahren LKW. Neben dieser interessanten Lebensgeschichte hat William auch einige seiner Ansichten geteilt. So sei die Hälfte der syrischen Flüchtlinge, die Kanada aufgenommen hat, Terroristen und den Prime Minister Justin Trudeau nannte er „Prime Mistake“. Außerdem seien alle LKW-Fahrer, die nicht die in der Branche üblichen Gesten und Begrüßungen durch Lichtsignale etc. durchführten, Pakistaner, Inder oder Polen („Polacks“). Ob es tatsächlich unterschiedliche Gepflogenheiten zwischen ausländischen und kanadischen Fernfahrern gibt, kann ich zwar nicht beurteilen, aber es war deutlich, dass William viele Vorbehalte gegenüber Menschen aus fremden Kulturkreisen hat, um es nett auszudrücken.

Auf der anderen Seite war er mir gegenüber sehr nett, hat mich zum Abendessen eingeladen und mir seine Telefonnummer gegeben, sodass wir uns treffen könnten, wenn ich in seiner Heimatstadt vorbeikommen sollte. Stundenlang neben ihm zu sitzen war also nicht durchgehend toll, aber es war zumindest eine authentische Erfahrung.

Downtown Calgary
Downtown Calgary – Foto: Jonas Schönfelder

Nach einer Nacht in Calgary bin ich weiter in den Ort Lake Louise gefahren, der im Banff-Nationalpark in den Rocky Mountains liegt. Dort habe ich mich bei verschiedenen Hotels und Unterkünften auf eine Arbeitsstelle beworben. Darunter war auch die Skoki-Lodge, eine Skihütte im Hinterland. Sie ist nicht ans Stromnetz angeschlossen, es gibt dort keinen Handyempfang und die Angestellten arbeiten dort immer zehn Tage am Stück, bevor sie vier Tage frei haben. Mit der abgelegenen Lage geht außerdem einher, dass keine Straße zur Hütte führt: Man kann im Winter nur mit dem Schneemobil, Schneeschuhen oder Tourenskiern dorthin gelangen (im Notfall fliegt bestimmt auch ein Helikopter).

Die Skoki-Lodge ist im Winter nur mit dem Schneemobil, Schneeschuhen oder Skiern erreichbar.
Die Skoki-Lodge ist im Winter nur mit dem Schneemobil, Schneeschuhen oder Skiern erreichbar. – Foto: Jonas Schönfelder

Da ich mir bei einer persönlichen Vorstellung bessere Chancen ausmalte und die Herausforderung auch interessant fand, habe ich mir Schneeschuhe ausgeliehen und bin am Mittwoch zur Hütte und wieder zurück gelaufen. Insgesamt waren es 36 Kilometer, für die ich 10,5 Stunden gebraucht habe. Leider hatten sich die Manager ausgerechnet an diesem Tag auf den Weg ins Tal gemacht, sodass ich meine Bewerbung nicht persönlich abgeben konnte. Trotzdem war es eine tolle Erfahrung, auch wenn während der letzten 1,5 Stunden des Rückwegs viel geflucht habe. Nach einem guten Abendessen und viel Schlaf fühlte sich es am nächsten Tag aber sehr viel besser an.

Schneeschuhe: Wenn der Schnee nicht sehr hart ist, sinkt man auch damit etwas ein.
Schneeschuhe: Wenn der Schnee nicht sehr hart ist, sinkt man auch damit etwas ein. – Foto: Jonas Schönfelder
Ich wurde mit einer tollen Landschaft belohnt. Von der Bildmitte nach links sieht man den Verlauf der Wegmarkierungen.
Ich wurde mit einer tollen Landschaft belohnt. Von der Bildmitte nach links sieht man den Verlauf der Wegmarkierungen. – Foto: Jonas Schönfelder

Obwohl ich auch anderen Unternehmen in Lake Louise einen Besuch abgestattet habe, hat sich dort keine Beschäftigung ergeben. Dafür hatte ich am Freitag spontan ein Vorstellungsgespräch im Rimrock-Hotel im 50 Kilometer entfernten Banff. Kurz darauf habe ich eine Zusage erhalten und ich werde nächste Woche wohl meine Arbeit als „Public Area Cleaner“ aufnehmen. Ich befürchte zwar, dass die Arbeit schnell langweilig wird und da ich mich bis Ende Juni verpflichten soll, werde ich länger an den kleinen, sehr vom Tourismus geprägten Ort gebunden sein. Bevor die Arbeit überhaupt angefangen hat, sollte ich mir jetzt aber nicht zu viele Gedanken machen und mich auf die Dinge freuen, die ich mit dem bis dahin verdienten Geld machen kann.

Der Ort Banff im gleichnamigen Nationalpark liegt mitten in den Rocky Mountains.
Der Ort Banff im gleichnamigen Nationalpark liegt mitten in den Rocky Mountains. – Foto: Jonas Schönfelder

Da die Arbeit frühestens am Donnerstag beginnt, habe ich noch ein paar freie Tage. Ich hoffe, dass es wieder etwas wärmer wird, sodass ich die Umgebung erkunden kann.

Ich wünsche euch allen einen guten Start in die neue Woche!

Die Karte zeigt den Weg, den ich bisher in Kanada zurückgelegt habe.
Die Karte zeigt den Weg, den ich bisher in Kanada zurückgelegt habe. – Screenshot: Google Maps

2 Kommentare

Moin Jonas, mein Name ist Uwe Lehmann .
Ich bin dabei den Nachlass meiner Mutter zu ordnen und bin dabei auf eine Heimatzeitung von 1953 gestoßen.
Die Zeitung heißt: Rund um den Burgsberg .
Ist Heimatzeitung der Vertriebenen aus der Lausitz.
Hier der Text : Jan. 1953 Grüße von Gotthard Schönfelder aus Ober-Schönbrunn.
Er ist als Kriegsgefangener nach Kanada gebracht worden. Wieder nach Deutschland überstellt worden.
1951 wieder nach Kanada zurück gekehrt.
Hat anfangs auf einer Farm gearbeitet , danach als Maler,
zuletzt in einer Fleischfabrik.
Seine letzte Adresse war : 304-3 Ave E. Calgary, Alberta
Kann es da eine Verbindung geben , weil du auch in
Calgary warst. Wenn nicht , auch gut.
Also auf : back to the Rots
Viele Grüße aus Weyhe von Uwe

Hallo Uwe,

das klingt interessant. Allerdings habe ich keine Verwandten in Kanada bzw. weiß zumindest nichts davon.

Viel Erfolg bei der Suche!

Schönen Gruß
Jonas

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