Bachelorarbeit

Titel: Podcasts zwischen Qualitätsjournalismus und Aktivismus Eine Befragung zur Rolle deutscher Podcasts aus Kommunikatorsicht

Vorgelegt von: Jonas Schönfelder
Erstgutachterin: Frau Prof. Dr. Annett Schulze
Zweitgutachter: Herr Prof. Dr. Michael Beuthner
Abgabetermin: 31.03.2017

Zur besseren Lesbarkeit habe ich die Bachelorarbeit hier als Webseite aufbereitet. Sie steht auch zum Download als PDF-Datei bereit.

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis 🔗

  • Abbildung 1: Darstellung des Podcasts »Lage der Nation« als RSS-Feed (links) und in der iOS-Podcast-App »Pocket Casts« (rechts). eigene Screenshots → Kapitel 2.3.1

Tabellenverzeichnis 🔗

  • Tabelle 1: Das integrative Qualitätskonzept nach Arnold (vgl. Arnold 2009: 232, 235 und 237). eigene Darstellung → Kapitel 2.1.1
  • Tabelle 2: Indikatoren der Dimension Journalismus. eigene Darstellung → Kapitel 3.2.3
  • Tabelle 3: Indikatoren der Dimension Aktivismus. eigene Darstellung → Kapitel 3.2.3
  • Tabelle 4: Indikatoren der Dimension Motive. eigene Darstellung → Kapitel 3.2.3

Abkürzungsverzeichnis 🔗

CCCChaos Computer Club e.V.
DDoSDistributed Denial of Service (auf Deutsch etwa verbreitete Verweigerung des Dienstes; tritt nach zu vielen Anfragen an ein Computersystem auf)
DJVDeutscher Journalisten-Verband
JNJohn F. Nebel
LdNLage der Nation (Podcast)
LNLinus Neumann
LNPLogbuch:Netzpolitik (Podcast)
NHNora Hespers
PBPhilip Banse
PRPublic Relations (auf Deutsch Öffentlichkeitsarbeit)
RSSReally Simple Syndication (auf Deutsch etwa sehr einfache Zusammenfassung; ein Dateiformat für Web-Feeds)
TPTim Pritlove
UBUlf Buermeyer
XMLExtensible Markup Language (auf Deutsch erweiterbare Auszeichnungssprache; Auszeichnungssprache zur Darstellung strukturierter Daten in Textdateien)

1 Einleitung 🔗

Im Verlauf meines Journalismus-Studiums wurden immer wieder Regeln und Grundsätze besprochen, die sich Journalisten[1] selbst gegeben haben und die zumindest von einem großen Teil dieser Berufsgruppe akzeptiert und rezipiert werden. Eine vielzitierte Aussage, die von dem verstorbenen Tagesthemen-Moderator Hans Joachim Friedrichs stammt, wird meist paraphrasiert als: „Ein guter Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten“ (Epp 2014). Daraus wird oft ein Grundsatz abgeleitet, wonach alle Journalisten objektiv sein sollten und bei Themen, über die sie berichten, so wenig wie möglich involviert sein sollten. Wenn man das Zitat im Original und mit etwas mehr Kontext liest, ist aber dessen allgemeiner Neutralitätsanspruch an den Journalismus anzuzweifeln:

„Das hab‘ ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst du es, daß die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören“ (Leinemann/Schnibben 1995).

Dieses Zitat ist Teil der Antwort auf die Frage, ob Friedrichs es gestört habe, als Nachrichtenmoderator ständig den Tod präsentieren zu müssen. Ihm ging es anscheinend darum, negative Nachrichten in einer neutralen Form zu präsentieren und seine innere Betroffenheit nicht nach außen zu zeigen. Dass ein Journalist keine Haltung zu einem von ihm vorgetragenen oder recherchierten Thema haben dürfe, lässt sich der Aussage nicht entnehmen. Im Gegenteil: Im selben Interview sagt Friedrichs, er habe, nachdem er nachts aufgewacht sei, einmal 20.000 DM gespendet, weil er sich schlecht gefühlt habe, in den Nachrichten zur Hilfe für Erdbebenopfer aufzurufen und selbst nichts zu unternehmen (vgl. Leinemann/Schnibben 1995). Bei genauer Betrachtung ist Hans Joachim Friedrichs’ vermeintliches Dogma also weniger streng und elitär, als es auf den ersten Blick wirkt.

Dennoch finden sich auch in der jüngeren Vergangenheit immer wieder Fälle, an denen diskutiert wird, welche Nähe Journalisten zu ihren Themen und Protagonisten haben dürfen. Dazu zwei Beispiele: Der Journalist Glenn Greenwald, der maßgeblich an den Snowden-Veröffentlichungen beteiligt war, bezeichnete sich bei einer Rede auf einem Kongress des Chaos Computer Clubs im Dezember 2013 selbst als Teil der Pro-Privacy-Allianz (vgl. Biermann/Beuth 2013). In einem Kommentar auf Zeit Online wurde ihm daraufhin vorgeworfen, „sich mit Aktivisten gemein gemacht“ zu haben (Biermann/Beuth 2013). Ein anderer Fall stammt aus dem Sommer 2015, als sich die Flüchtlingsbewegung nach Europa auf ihrem Höhepunkt befand. Der Taz-Reporter Martin Kaul kaufte Wasser und Essen für Flüchtlinge und fuhr mit ihnen in einem Bus mit als Garantie, dass der Bus wirklich in Richtung Mitteleuropa fahren und nicht umkehren würde (vgl. Bouhs 2016).

Die Frage, ob Journalisten auch Aktivisten sind oder sich aktivistisch betätigen dürfen, ist also nach wie vor aktuell und wird innerhalb der Berufsgruppe der Journalisten unterschiedlich beantwortet. Klar ist, dass es sich dabei nicht um eine Diskussion um die Rechtmäßigkeit einer solchen Überschneidung handelt, da die Ausübung einer publizistischen Tätigkeit eine individualrechtliche Garantie der Pressefreiheit darstellt und somit nicht eingeschränkt werden kann (vgl. Fechner 201415: 231). Die Berufsbezeichnung Journalist ist deshalb auch nicht geschützt, anders als zum Beispiel Zahnarzt oder Rechtsanwalt (vgl. Pürer 2015: 24). Somit kann sich auch der Sea-Shepherd-Aktivist, der gegen Walfang kämpft und darüber berichtet, Journalist nennen. Es geht bei dieser Frage um eine moralisch-ethische Auseinandersetzung über den Umgang der Journalisten mit ihrer publizistischen Verantwortung.

Für diese Arbeit beschränke ich die Beantwortung der Frage auf die Sichtweise deutschsprachiger Podcaster, da Podcasts trotz ihres über zehnjährigen Bestehens in der medialen und wissenschaftlichen Betrachtung ein Nischendasein fristen. Dabei gibt es längst einige Podcasts, die sich mit dem politischen Geschehen oder geschichtlichen Ereignissen befassen und sich dadurch für eine Untersuchung durch die Journalistik eignen. Und auch wenn Podcasts in der alltäglichen Berichterstattung immer wieder als Radiosendungen im Internet (vgl. Reißmann 2014) bezeichnet werden, unterscheiden sich die Formate in der Länge, der persönlichen Ansprache und dem thematischen Fokus oft vom klassischen Radio.

Ziel dieser Arbeit ist es deshalb, herauszufinden, welches Verständnis Podcaster in Deutschland von den Begriffen Aktivismus und Journalismus haben und wie sie ihre Arbeit darin einordnen.

2 Forschungsstand 🔗

Im Kern dieser Arbeit geht es um die Frage, was deutschsprachige Podcaster unter den Begriffen Journalismus und Aktivismus verstehen, ob sie sich ihrer Meinung nach gegenseitig ausschließen und wo sie sich und ihre Tätigkeit selbst einordnen. Für die Beantwortung dieser Fragen ist es nötig, zentrale Begriffe zu definieren und den Stand der Wissenschaft darzustellen.

2.1 Journalismus 🔗

Zum Journalismus gibt es in Deutschland und international zahlreiche Publikationen, die sich mit der Betrachtung dieser Tätigkeit aus wissenschaftlicher und praxisorientierter Sicht befassen. Der Begriff Journalismus wird von der Praxis und der Wissenschaft unterschiedlich definiert, und auch innerhalb der Wissenschaft gibt es keine allgemeingültige Umschreibung (vgl. Neuberger/Kapern 2013: 25). Neuberger und Kapern bauen auf der Systemtheorie des Soziologen Niklas Luhmann auf, wonach verschiedene Funktionen von darauf spezialisierten gesellschaftlichen Teilsystemen erbracht würden. Diese verlören sich gegenseitig aus dem Blick, weshalb der Journalismus die besondere Funktion habe, einen Gesamtüberblick über diese Teilsysteme und wichtige darin stattfindende Ereignisse zu liefern (ebd. 26). Aus diesem und weiteren Aspekten ergibt sich ihre Definition für Journalismus:

„Der Journalismus ist ein gesellschaftliches Teilsystem mit der Funktion der Selbstbeobachtung der Gesellschaft. Dafür stellt er Öffentlichkeit her, indem er Themen aktuell und universell auswählt, objektiv über sie berichtet, Beiträge veröffentlicht und kontinuierlich mit Hilfe von Massenmedien an das Publikum verbreitet. Autonomie ist eine notwendige Voraussetzung für die Erfüllung dieser Funktion“ (ebd. 29).

Weischenberg, Malik und Scholl legen in ihrer 2006 veröffentlichten Studie Die Souffleure der Mediengesellschaft eine Definition an, nach der diejenigen Personen als Journalisten bezeichnet werden, „die hauptberuflich und hauptsächlich damit beschäftigt sind, aktuelle, auf Tatsachen bezogene und (für ihr Publikum) relevante Informationen zu sammeln, zu beschreiben und in journalistischen Medien zu veröffentlichen“ (Weischenberg et al. 2006: 31). Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), nach eigener Darstellung eine „Kombination aus Gewerkschaft und Berufsverband“ (DJV o. J.), schreibt in seinem Berufsbild Journalistin – Journalist, Journalist sei, wer „hauptberuflich an der Erarbeitung bzw. Verbreitung von Informationen, Meinungen und Unterhaltung durch Medien mittels Wort, Bild, Ton oder Kombinationen dieser Darstellungsmittel beteiligt ist“ (DJV 2015). Auch wenn sich diese drei Definitionen in den Grundzügen gleichen, gibt es Unterschiede. So machen sowohl Weischenberg et al. als auch der DJV die hauptberufliche Ausführung der journalistischen Tätigkeit zur Voraussetzung, um als Journalist zu gelten. Neuberger und Kapern stellen infrage, ob diese Einschränkung heutzutage noch Bestand habe, wo Blogger und Bürgerjournalisten sowie Plattformanbieter wie Google und Facebook Teile der journalistischen Tätigkeit übernähmen. Diese Einschränkung erklären sie mit dem Interesse des DJV, vor allem Berufsjournalisten z. B. in Tarifverhandlungen vertreten zu wollen (vgl. Neuberger/Kapern 2013: 29).

Ein weiterer wichtiger Punkt, in dem sich die Journalismus-Definitionen unterscheiden, ist der Ausschluss bzw. die Miteinbeziehung von Öffentlichkeitsarbeit. Der DJV schreibt in seinem Berufsbild, Journalisten arbeiteten auch „im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit eines Wirtschaftsunternehmens, einer Verwaltung oder einer Organisation“ (DJV 2015). Neuberger und Kapern zeigen auf, dass sich eine solche, aus der Berufspraxis stammende Definition, nicht mit der wissenschaftlichen Sicht vereinen lässt. Dort werde der Journalismus klar von der Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations) getrennt, weil sich erster am Interesse des Publikums und der Gesellschaft und zweite an den Interessen der Auftraggeber orientiere (vgl. Neuberger/Kapern 2013: 29). Es soll erwähnt werden, dass sich das Netzwerk Recherche, ein Verein von Journalisten aus der Praxis zur Verbesserung der Recherche, kritisch mit dem Einfluss der Public Relations (PR) auf den Journalismus auseinandersetzt (vgl. Netzwerk Recherche o. J.). In einem Positionspapier wird der ehemalige Vereinsvorsitzende, Thomas Leif, zitiert, die PR vermittele „nur Teil-Wahrheiten und Ausschnitte der Realität“ (ebd.). Von daher ist davon auszugehen, dass auch in der Gruppe der hauptberuflich tätigen Journalisten Zweifel darüber herrscht, ob Pressesprecher und Beschäftige aus der Öffentlichkeitsarbeit zu Journalisten gezählt werden sollten.

2.1.1 Qualitätsjournalismus 🔗

Der Titel dieser Arbeit enthält das Wort Qualitätsjournalismus. Im Alltag ist dieser Begriff (zum Teil in den abgewandelten Formen Qualitätsmedien oder Qualitätszeitungen) immer wieder zu hören und zu lesen und auch die Forschung beschäftigt sich seit einigen Jahren damit. „Journalisten, Gewerkschafter und Wissenschaftler sehen die Qualität im Journalismus als bedroht an“, schreibt beispielsweise Klaus Arnold (Arnold 2016: 551). Die Frankfurter Allgemeine Zeitung wirbt mit dem Begriff auf ihrer Webseite (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung o. J.) und verweist auf die Deutsche Gesellschaft Qualitätsjournalismus, ein eingetragener Verein, der sich nach eigener Darstellung „der Förderung von Qualitätsjournalismus widmet“ (Deutsche Gesellschaft Qualitätsjournalismus o. J.). Journalistik-Professor Volker Lilienthal ist hingegen der Meinung, Mediennutzer erwarteten von jeglichem Journalismus, verlässlich informiert zu werden, weshalb der Begriff Qualitätsjournalismus ein Pleonasmus sei, eine Komposition sinngleicher Wörter (vgl. Lilienthal 2015). Doch was genau ist mit dem Begriff gemeint und was muss ein Medium mitbringen, um als Qualitätsmedium zu gelten?

Die Forschung gibt auf diese Fragen ausführliche Antworten, die bei dem Begriff Qualität beginnen. Dieser sei schwierig zu definieren (vgl. Jarren/Vogel 2011: 17) und obwohl für den Journalismus gesetzliche und berufliche Regeln gelten und weitgehend Übereinstimmung über sein Set an Aufgaben in einer Demokratie bestünde, sei „Qualität nichts Objektives, das ein für alle Mal definiert werden kann“ (Neuberger/Kapern 2013: 127). Roger Blum führt dazu anschaulich aus, dass sich Qualität in den Medien auch immer am Vergleich zu anderen Medien festmacht. So steige das Ansehen einer bislang am unteren Ende der Qualitätsskala eingeordneten Zeitung, sobald ein qualitativ noch schlechteres Konkurrenzblatt den Markt betrete (vgl. Blum 2011: 8 f.). Dass die Qualitätsdebatte überhaupt zunehmend in der Forschung stattfinde, habe zum einen mit der Erweiterung des Rundfunkangebots in Deutschland um private Anbieter in den 1980er- und 1990er-Jahren zu tun, die für die bestehenden öffentlich-rechtlichen Sender eine ungekannte Konkurrenz bedeuteten. Zum anderen steckten die Zeitungsverlage aufgrund rückläufiger Auflagezahlen und Finanzierungsproblemen, die unter anderem von kostenlos nutzbaren und schwer monetarisierbaren Internetangeboten herrührten, seit Jahren in einer Krise. Dies mache die Bereitstellung von Ressourcen für guten Journalismus schwieriger und führe gleichzeitig dazu, sich bei dem Publikum durch Betonung der eigenen Qualität attraktiv machen zu müssen (vgl. Arnold 2016: 551 f.).

Um sich der Definition von Qualitätsjournalismus, die aufgrund der vorangestellten Gründe schwierig ist, zu nähern, bietet Blöbaum eine nachvollziehbare Zusammenfassung der bestehenden Forschung. Aufbauend auf Bourdieu könne Journalismus in einem Feld zwischen zwei Polen angesiedelt werden: Qualitätsjournalismus sei näher am „autonomen, intellektuellen, mit hohem kulturellen Kapital ausgestatteten Pol“ (Blöbaum 2011: 51), während sich Boulevardjournalismus durch seine Orientierung am Publikumsgeschmack und am Markt eher am kommerziellen Pol einordnen ließe (vgl. ebd.). Qualitätsmedien dienten außerdem vielen Journalisten als Orientierung und würden deshalb von ihnen rezipiert (ebd. 50). Darüber hinaus benutzten sie eine „Vielzahl journalistischer Darstellungsformen“ (ebd. 53), deckten andere und mehr Themenbereiche ab, verwendeten andere Nachrichtenfaktoren und griffen hauptsächlich auf eigenes Personal (statt z. B. auf Nachrichtenagenturen) zurück (vgl. ebd.).

Ein ausführliches Qualitätskonzept wurde 2009 von Klaus Arnold in Qualitätsjournalismus – Die Zeitung und ihr Publikum entwickelt, das hier nur ansatzweise erläutert werden soll. Arnold unterteilt Qualitätsmerkmale in „funktional-systemorientierte, normativ-demokratieorientierte und nutzerbezogen-handlungsorientierte Sichtweisen“ (Arnold 2009: 229):

funktional-systemorientiertnormativ-demokratieorientiertnutzerbezogen-handlungsorientiert
  • Vielfalt
  • Aktualität
  • Relevanz
  • Glaubwürdigkeit
  • Unabhängigkeit
  • Recherche
  • Kritik
  • Zugänglichkeit
  • Hintergrundberichterstattung
  • Regionaler/lokaler Bezug
  • Ausgewogenheit
  • Neutralität/Trennung von Nachricht und Meinung
  • Achtung der Persönlichkeit
  • Anwendbarkeit
  • Unterhaltsamkeit
Tabelle 1: Das integrative Qualitätskonzept nach Arnold (vgl. Arnold 2009: 232, 235 und 237). eigene Darstellung

Die erste Perspektive zielt dabei auf die Aufgabe des Journalismus ab, eine Orientierungsfunktion zwischen den gesellschaftlichen Teilsystemen zu bieten (vgl. ebd. 230). Die zweite Perspektive stellt die öffentliche Aufgabe des Journalismus innerhalb einer Demokratie dar. Diese Kriterien sind vielfach bereits gesetzlich geregelt oder in selbstverpflichtenden Kodizes wie dem Pressekodex des Deutschen Presserats festgehalten. Arnold stellt die besondere Betonung der Achtung der Persönlichkeit im Pressekodex heraus, die er als „grundlegende Bedingung von menschlichem Zusammenleben“ (ebd. 235) beschreibt. Die dritte Perspektive bezieht sich auf die publikumsorientierte Gestaltung journalistischer Werke.

Die Forschung bietet mit den genannten und weiteren Konzepten eine Möglichkeit, journalistische Qualität zumindest ansatzweise zu bestimmen. Dass kaum eine Publikation zu diesem Thema um die Bemerkung herumkommt, Qualität sei subjektiv und deshalb schwer zu definieren, macht allerdings deutlich, dass keine absoluten Ergebnisse zu erwarten sind.

2.1.2 Objektivität 🔗

In der Einleitung wurden zwei Beispiele genannt, in denen Journalisten vorgeworfen wurde, nicht neutral über Ereignisse berichtet zu haben und gar aktivistisch tätig zu sein. Sie sind deshalb eng mit dem Begriff Objektivität verknüpft. Dieses Kapitel soll einen Überblick über dessen Bedeutung und unterschiedliche Betrachtung in der Praxis und der Forschung bieten.

Die Kommunikationswissenschaftlerin Cornelia Mothes sagte in einem Interview, Objektivität im Journalismus meine allgemein, „dass Journalisten versuchen, das gesellschaftliche Geschehen möglichst unbeeinflusst von Eigeninteressen darzustellen“ (Klöckner 2015). Dass Eigenschaften wie Glaubwürdigkeit, Sachlichkeit und Unabhängigkeit für Nutzer von Onlinejournalismus von hoher Wichtigkeit sind, hat Christoph Neuberger 2012 in einer Studie dargelegt (vgl. 2012: 45). In einem 2013 veröffentlichten Buch schreiben er und sein Kollege Peter Kapern über Objektivität, sie sei das vielleicht wichtigste Qualitätskriterium des Journalismus, mit Sicherheit „aber das am meisten umstrittene“ (Neuberger/Kapern 2013: 146) und konstatieren, es gebe hier erhebliche Differenzen zwischen der wissenschaftlichen und der praxisorientierten Sichtweise (vgl. ebd. 167). In der journalistischen Praxis werde unter der Bezeichnung Objektivität „das gesamte Regelwerk des Nachrichtenjournalismus zusammengefasst“ (ebd. 158). So unterteile der Lehrbuchautor La Roche den Begriff in Faktentreue, Ausgewogenheit, Vollständigkeit und die Trennung von Nachricht und Kommentar (vgl. ebd. 153) und bezeichne diese zusammen als „äußere[…] Objektivität“ (zitiert nach ebd. 153). An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass sich Ausgewogenheit und die Trennung von Nachricht und Kommentar auch in dem in Kapitel 2.1.1 vorgestellten Qualitätskonzept nach Arnold wiederfinden; es also eine Überschneidung zwischen Forschung und Praxis gibt. Das, was La Roche unter „innere[r] Objektivität“ versteht (zitiert nach ebd. 154), nämlich die Informationsauswahl durch Journalisten, regt jedoch großen Widerstand bei Neuberger und Kapern (vgl. ebd. 158). Sie argumentieren, dass alle Auswahlregeln, also über welche Nachrichten berichtet (Nachrichtenfaktoren) und was über die einzelne Nachricht berichtet wird (W-Fragen), Wertungen enthielten und deshalb subjektiv seien (ebd.161). Sie nehmen Bezug auf Popper und Weber und verdeutlichen diesen Aspekt vereinfachend mit den Fragen „Was ist wirklich?“ (Objektivität) und „Was ist wichtig?“ (Relevanz) (ebd. 159), die separat beantwortet werden müssten. Aber auch Kriterien von La Roches „äußerer Objektivität“ wie Ausgewogenheit und Vollständigkeit sind nach Neuberger und Kapern wertend und sollten deshalb nicht der Objektivität, sondern den Relevanzkriterien zugeordnet werden (vgl. ebd. 159).

Nachdem also die wissenschaftliche Eingrenzung von Objektivität gegenüber dem breiteren journalistischen Verständnis stattgefunden hat, bleibt die Frage, ob objektive Erkenntnis möglich ist (ebd. 162). Hier gebe es die gegensätzlichen Positionen der „naive[n] Realisten“ (ebd. 162) und der „Vertreter des sogenannten ‚Radikalen Konstruktivismus’“ (ebd. 163). Der Konstruktivismus basiert kurz gesagt auf dem Verständnis, dass jede menschliche Wahrnehmung im Gehirn unter Rückgriff auf bereits wahrgenommenes und erlerntes konstruiert wird (vgl. Pörksen 2016: 251). Es könne also nicht von einer exakten Übereinstimmung der persönlichen Wahrnehmung und der beobachterunabhängigen Realität ausgegangen werden (ebd.). Neuberger und Kapern favorisieren eine mittlere Position zwischen den beiden genannten Haltungen, den „Kritischen Rationalismus“, der auf den Philosophen Karl Popper zurückgehe (vgl. Neuberger/Kapern 2013: 164). Dieser halte „eine Annäherung an die Wirklichkeit für möglich […], wenn bestimmte Regeln zur Recherche, Prüfung, Transparenz und Kritik eingehalten werden“ (ebd. 168).

Zusammenfassend bleibt zum Thema Objektivität festzuhalten, dass sie trotz verschiedener Auffassungen in der Praxis und der Wissenschaft meist für einen wichtigen Grundsatz im journalistischen Alltag gehalten wird (vgl. ebd. 167 und Klöckner 2015), um „zumindest den Willen aufzubringen, unabhängig von Eigeninteressen zu handeln“ (Klöckner 2015). Neuberger und Kapern nutzen den Begriff auch selbst in ihrer Journalismus-Definition (siehe Kapitel 2.1). Allerdings widerlegt die Wissenschaft Theorien, wonach Objektivität ein erreichbarer Zustand (im Gegensatz zu einer Annäherung) sei und grenzt sie von wertenden Relevanzkriterien ab.

2.1.3 Veränderungen im Journalismus 🔗

Seit der Jahrtausendwende hat es im Journalismus viele Veränderungen gegeben, die zu einem großen Teil mit dem Eintritt des Internets in das Alltagsleben der meisten Bürger zusammenhängen. Die Auflagezahlen (vgl. Neuberger/Kapern 2013: 196) und Werbeeinnahmen (ebd. 197) vieler Zeitungen sind gesunken, die Grenzen zwischen Medien sind durch Hyperlinks und soziale Netzwerke fließender geworden (ebd. 208) und jeder kann ohne großen Aufwand selbst im Internet publizieren (ebd.). Hier sollen zwei dieser Veränderungen Erwähnung finden, weil sie für Podcasts und somit diese Arbeit relevant sind.

In den traditionellen Medien wie Zeitungen und Rundfunk kann der Prozess der Nachrichtenauswahl, -aufbereitung und -verbreitung als Gatekeeping bezeichnet werden (vgl. Bruns 2009: 107). Diejenigen, die diese Medien kontrollieren (Journalisten, Inhaber), bewachen metaphorisch gesprochen die Tore und bestimmen, welche Inhalte durch sie hindurch zu den Nutzern gelangen (vgl. Bruns 2009: 107). Im Internet kann, anders als in den älteren Medien, jeder Nutzer Inhalte über Blogs, soziale Netzwerke, Podcasts, Videoplattformen etc. ungefiltert verbreiten (vgl. Neuberger/Kapern 2013: 208). Dies führt zu einer Vielzahl von Angeboten, die Betreiber von Suchmaschinen und sozialer Netzwerke mit Algorithmen zu filtern versuchen. Dies funktioniert nicht immer in ausreichender Qualität (ebd. 209) und begünstigt die Bildung von sogenannten Filterblasen oder Echokammern, in denen Nutzern vornehmlich Inhalte angezeigt werden, an denen sie vorab schon Interesse bekundet haben (vgl. Schweiger 2917: 143). Deshalb sei es auch die Aufgabe von Journalisten, nutzergenerierte Inhalte im Internet zu kuratieren, also Relevantes von Irrelevantem zu trennen und weiterzuverbreiten (vgl. Neuberger/Kapern 2013: 209). Bruns nennt diese Tätigkeit Gatewatching, weil sie anders als das Gatekeeping nicht die Ein- und Ausgangstore des Informationsflusses bewache, sondern lediglich die Ausgangstore beobachte (vgl. Bruns 2009: 113).

Ein anderer Aspekt, der den Journalismus verändert hat, ist die enorm gesteigerte Möglichkeit der Nutzerinteraktion durch das Internet. Auch an gedruckte Zeitungen konnten schon vor Jahrzehnten Lesebriefe adressiert werden, die unter Umständen auch veröffentlicht wurden. Im Internet ist jedoch eine viele direktere Kommunikation von den Rezipienten an die Kommunikatoren eines journalistischen Werkes möglich – ob über Kommentarspalten auf der Webseite des Mediums, über Blogs oder über soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter. So können Hinweise auf Fehler gemacht, zusätzliche Informationen gegeben, diskutiert und recherchiert werden (vgl. Weichert 2011: 367).

Für Podcasts sind beide Aspekte, die augenscheinlich zusammenhängen, von Bedeutung. Podcasts werden zum einen häufig von Personen gestaltet, die nicht hauptberuflich als Journalisten arbeiten. Sie tragen also zu der durch das Internet ermöglichten Informationsmenge bei, die nicht durch klassische Gatekeeper begrenzt wird. Sie können als Prosumenten, also eine Mischung aus Produzenten und Konsumenten, bezeichnet werden (vgl. Weichert 2011: 366). Allerdings haben auch sie oft die Funktion des Gatewatchers inne, weil sie andere Inhalte werten und selektieren und in einer abgeschlossenen Sendung darüber sprechen. Zuletzt sind Podcasts in der Regel auch kommentierbar, sodass Hörer in den Kommentarspalten zu einzelnen Folgen darauf Bezug nehmen und z. B. weiterdiskutieren können.

2.2 Aktivismus 🔗

Der Begriff Aktivist stammt von dem lateinischen Wort activus, was tätig oder aktiv bedeutet[2]. Die sich daraus ableitende Tätigkeit Aktivismus wurde von dem Philosophen Karl Popper als die „Neigung zur Aktivität und die Abneigung gegen jede Haltung des passiven Hinnehmens“ bezeichnet (Popper 20037: 7). Damit stellt Aktivismus das Gegenteil des Attentismus dar, der die „Verzögerung von polit[ischen] Entscheidungen oder Auseinandersetzungen durch Abwarten“ meint (Bendel 2010 4: 44). Außerdem ist Aktivismus von Aktionismus abzugrenzen, der im alltäglichen Sprachgebrauch als „übertriebener Tätigkeitsrang“ (Brockhaus 2014) und damit abwertend zu verstehen ist.

Bezogen auf die Aufgaben von Aktivisten äußert sich Pierre Bourdieu, ebenfalls Philosoph und Soziologe, mit seinem Rollenverständnis:

„[E]s lohnt sich auch die Mühe des Kampfes, das allgemeine Recht auf die Freiheit der Rede bekannt zu machen – auf eine Rede, die diejenigen Erfahrungen wieder zur Sprache bringt, die in der Gesellschaft unterdrückt werden. Der politische Aktivist sollte nicht jemand sein, der Plakate klebt oder vorgeformte Parolen verbreitet. Es sollte jemand sein, der seine Sprache spricht, um etwas zu sagen, und der dies dann auch sagt. Der sich ausdrückt und der sich dafür einsetzt, daß Bedürfnisse ausgedrückt werden“ (Bourdieu 1992: 28 f.).

Dass Aktivismus oft mit politischen Veränderungen verbunden wird, lässt sich schon an der häufigen Verwendung der Bezeichnung politischer Aktivismus in der Forschung erkennen. Mykyta Drozd liefert eine Zusammenfassung verschiedener Definitionen russischer, ukrainischer und US-amerikanischer Wissenschaftler. So kann politischer Aktivismus als Ausdruck von Bedürfnissen und Interessen politischer Gruppen und Individuen, das politische, soziale oder wirtschaftliche System und dazugehörige Institutionen zu verändern, verstanden werden (vgl. Drozd 2015: 230). Der Forscher Mordovets wird von ihr zitiert, Aktivismus könne anstatt Veränderung auch das Beibehalten bestehender Verhältnisse bedeuten (ebd. 299). Es könnte also eine Unterteilung in konservative und progressive Formen des Aktivismus sinnvoll sein. Eine weitere Differenzierung kann über die Komponenten materiell und geistig erreicht werden. Die materielle (material) Komponente des Aktivismus bestünde demnach aus den echten Veränderungen der Politik. Eine zweite Aktivismus-Komponente sei die geistige (spiritual), die aus der Weitergabe von Wissen und Erfahrung, Informationsaustausch und Koordinierung von Gruppen bestünde (ebd. 230).

Die Themenfelder, auf die der Aktivismus zielt, können ebenfalls zur genaueren Unterteilung des Begriffs genutzt werden (vgl. Pointer et. al. 2016: 9). So kann nach dieser Logik zwischen sozialem und politischem Aktivismus unterschieden werden, weil erster primär die Gesellschaft verändern möchte und zweiter politische Reformen zum Ziel hat (ebd. 10).

2.2.1 Bürger- und Ursachen-orientierter Aktivismus 🔗

Die Politikwissenschaftlerin Pippa Norris schreibt, früher sei in der Wissenschaft zwischen konventioneller und Protestpolitik unterschieden worden. Aktionen wie unangemeldete Streiks, Petitionen, Demonstrationen und die Besetzung von Gebäuden seien zu letzterer gezählt worden, hätten heute aber eine weitaus größere Verbreitung. Deshalb könne diese Unterscheidung nicht mehr aufrechterhalten werden (vgl. Norris 2007: 639). Sie schlägt deshalb eine Trennung in Bürger-orientierte (citizen-oriented) und Ursachen-orientierte (cause-oriented) Handlungen vor. Bürger-orientierte Handlungen beschränken sich demnach hauptsächlich auf Wahlen und das Engagement in Parteien. Ursachen-orientierte Handlungen seien dagegen auf konkrete Probleme gerichtet, z. B. ein bewusstes Konsumverhalten (durch das Kaufen oder Verweigern bestimmter Produkte aus politischen oder ethischen Gründen), Petitionen oder Demonstrationen (ebd. f.). Norris führt weiter aus, dass soziale Bewegungen heutzutage verschiedene Handlungsstrategien wie Lobbyismus, Onlineproteste und Demonstrationen parallel nutzten, um ihre Ziele zu erreichen (ebd. 640) und sich nicht nur an Parlamente und Regierungen, sondern auch an die Gesellschaft, privatwirtschaftliche Unternehmen (z. B. international agierende Konzerne) und gemeinnützige Organisationen richteten (ebd. 641).

Einen Überblick über die Möglichkeiten politischer Teilhabe Jugendlicher hat Anna Soßdorf geschaffen und dafür verschiedene Studien ausgewertet. Bei der Offline-Partizipation werden unter anderem Wählen, Petitionen unterzeichnen, politischer Konsumboykott, Demonstrieren, Politiker kontaktieren, die Mitarbeit in politischen Parteien oder Gruppen und ziviler Ungehorsam genannt (vgl. Soßdorf 2016: 55). Als Möglichkeiten der politischen Online-Partizipation werden unter anderem das Informieren über politische Themen, Teilnehmen an Online-Petitionen und Mailing-Aktionen, Gründen und Verwalten politischer Gruppen in sozialen Netzwerken, das Posten und Empfehlen politischer Beiträge, Schreiben politischer Blogs, Erstellen politischer Audio-/Video-Dateien und ziviler Ungehorsam (z. B. DDoS-Attacken[3]) aufgeführt (ebd. f.). Die Erstellung politischer Audio- und Video-Dateien, unter die auch politische Podcasts fallen, wurde nur in zwei der verglichenen Studien abgefragt und von zehn bzw. 17 Prozent der Teilnehmer genutzt. Da die Nutzung von Podcasts für diesen Zweck nicht gesondert erfasst wurde, lassen sich dafür nur sehr begrenzt Rückschlüsse ziehen. Festzuhalten ist, dass die aufwendigeren Handlungen wie eben die Erstellung von Medien-Dateien und das Schreiben politischer Blogs (zwischen 16 und 19 %) im Vergleich zu vermeintlich niedrigschwelligen Online-Handlungen wie dem Informieren über politische Themen (69 bis 96 %), der Teilnahme an politischen Diskussionen (35 bis 53 %) oder dem Posten und Empfehlen politischer Beiträge in sozialen Netzwerken (18 bis 81 %) deutlich weniger genutzt werden (ebd.). Annegret März verdeutlicht, dass gerade online durch die Vernetzung der Akteure und durch kollektiv gestaltete Inhalte die Trennung in passive Nutzer und aktive Produzenten schwierig ist, wodurch eine (unter Umständen unbewusste) Vermischung stattfindet, für die Begriffe wie Prosument bzw. englisch Produser existieren (vgl. März 2010: 223, siehe auch Kapitel 2.1.3 dieser Arbeit).

2.2.2 Aktivismus im Journalismus 🔗

„Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Frei ist, wer reich ist. Das Verhängnis besteht darin, daß die Besitzer der Zeitungen den Redakteuren immer weniger Freiheit lassen, daß sie ihnen immer mehr ihren Willen aufzwingen.“ – Der Publizist Paul Sethe in einem Leserbrief an den Spiegel 1965 (o. A. 1966)

Bis hierhin wurden die wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Bereichen Journalismus und Aktivismus in getrennten Kapiteln dargelegt und nur gelegentlich auf Aspekte des jeweils anderen Bereichs verwiesen. Ob diese Trennung gerechtfertigt ist, lässt sich jedoch diskutieren. Werfen wir dazu einen Blick auf frühere Zeiten des Journalismus: In seinem Buch Wozu brauchen wir noch Journalisten? schreibt der österreichische Journalist und Fernsehmoderator Armin Wolf über Theodor Herzl, Vordenker des jüdischen Staates, er sei vor etwa 120 Jahren ein professioneller Journalist einer renommierten Tageszeitung gewesen (vgl. Wolf 20132: 55). Wolf ergänzt, nach seiner Überzeugung wäre Herzl heute Blogger (ebd.). Der Grund ist dessen Aktivismus, seine Bestrebungen, einen jüdischen Staat in Palästina zu errichten. Das Zitat aus den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts, dass diesem Kapitel vorangestellt ist, zeigt einen anderen Aspekt: Eine breite Öffentlichkeit mit seinen Texten, Radio- und später Fernsehsendungen zu erreichen, war lange Zeit einer kleinen elitären Personengruppe vorbehalten (ebd.), weil der Zugang zu frühen Massenmedien eine Hürde darstellte und nur in organisierter Form möglich war (vgl. Becker 2014: 316). Laut Becker sei organisierter Journalismus „per definitionem abhängig von Entscheidungen der Organisation“, zu denen zweifelsohne „auch die verlegerische Leitlinie“ gehöre (ebd.; Hervorhebung vom Verfasser entfernt). Hinzu kommen wirtschaftliche Zwänge, die eine Orientierung des Journalismus an ihren Kunden (Publikum und Werbepartner) erfordern (ebd.) und bis heute teilweise eine Verletzung des Trennungsgebots von werblichen und redaktionellen Inhalten nach sich ziehen, die Wolf „Prostitution“ nennt (Wolf 20132: 85).

Damit ist aber ein weiterer wichtiger Punkt in der Geschichte des Journalismus genannt: Die Entwicklung eines Berufsbildes, woran in Deutschland maßgeblich Walter von La Roche mit seinen Lehrbüchern beteiligt war (vgl. Becker 2014: 316), sowie die Schaffung gemeinsamer Normen und Kodizes wie dem Pressekodex 1973. Diese Professionalisierung machte Journalismus zunehmend zu einer „Dienstleistung für die Gesellschaft, die es den Bürgern ermöglicht, qualifizierter am demokratischen Diskurs eines Gemeinwesens teilzunehmen“ (Wolf 20132: 25). Heute gibt es weltweit mehrere Milliarden Internetnutzer, die dank sozialer Netzwerke, Videoplattformen, Blogs, Podcasts und anderen Kommunikationsformen Informationen bereitstellen und ihre Meinung äußern können (siehe auch die Kapitel 2.1.3 und 2.2.1 dieser Arbeit). Das Zitat von Paul Sethe zu Beginn dieses Kapitels ist also obsolet geworden. Was bedeutet das aber für den Journalismus? Für Armin Wolf ist Journalismus ein Beruf, „den man vernünftigerweise lernt, so wie andere Berufe auch“ (ebd. 68). Dabei schließt er nicht aus, dass auch Menschen ohne eine systematische Ausbildung journalistisch arbeiten können, aber er stellt deren Bedeutung und die des redaktionellen Umfelds heraus (vgl. ebd.). Dafür nennt er einige Beispiele, laut denen die erfolgreichsten amerikanischen Blogs professionell, also hauptberuflich, betrieben würden oder von Medienunternehmen gekauft worden seien (vgl. ebd. 69). Als ein Gegenbeispiel führt er das österreichische Blog dietiwag.org an, das hingegen in der Freizeit des Betreibers, der sich selbst als politischen Aktivisten bezeichne, entstehe (ebd.). Nun ist aus einzelnen Beispielen nicht abzuleiten, wie sehr die Vielzahl von publizistischen Freizeitangeboten journalistische Kriterien befolgt. Neuberger stellt fest, dass laut Befragungen von Bloggern und Journalisten über ihr jeweiliges Fremd- und Selbstbild jedoch eine weitgehende Einigkeit bestehe: So würden traditionelle Merkmale wie Neutralität, Richtigkeit, Glaubwürdigkeit und Relevanz eher dem Journalismus zugeordnet, wogegen Blogs u. a. die persönliche Perspektive, der leichte Zugang zum Autor, die Meinungsvielfalt und intensive Diskussionen charakterisierten (vgl. Neuberger 2017: 108).

Zum Schluss dieses Kapitels möchte ich noch einmal auf Glenn Greenwald verweisen, der schon in der Einleitung Erwähnung fand. Er debattierte in einem erhellenden Meinungsaustausch mit Bill Keller, dem ehemaligen Chefredakteur der New York Times, über die Bedeutung von Aktivismus im Journalismus und schreibt:

“[W]ith some noble exceptions, The Times, by design or otherwise, has long served the interests of the same set of elite and powerful factions. Its reporting is no less ‘activist’, subjective or opinion-driven than the new media voices it sometimes condescendingly scorns.” – Glenn Greenwald (Keller 2013)

Letztlich ist nicht aufzulösen, ab wann eine Themenauswahl, eine Auswahl von Perspektiven oder von Fakten zu einer Meinungsäußerung wird, die einer Agenda folgt. Der Journalismus hat durch die zunehmende Professionalisierung wie die Schaffung von allgemeingültigen Redaktionsabläufen und Regeln Grundlagen für eine ausgewogene Berichterstattung entwickelt. Die Abwesenheit einer aktivistischen Haltung bei Journalisten lässt sich dadurch aber nicht erzwingen.

2.3 Podcasts 🔗

Podcasts bestehen in ihrer Grundform seit 2003 und sind damit älter als viele der heute populären Videoplattformen und sozialen Netzwerke wie beispielsweise YouTube oder Facebook. In der jüngeren Vergangenheit wurde dem Medium Podcast in der alltäglichen Berichterstattung immer wieder ein Aufstieg in der Popularität bescheinigt oder vorausgesagt (vgl. Deutsche Presse-Agentur 2016 und Groth/Kroll 2016), was auch an der zunehmenden Professionalisierung der US-amerikanischen Szene und dem dortigen Hype um den Podcast Serial liegen dürfte (vgl. Sillesen 2014). In Deutschland liegt die Nutzung insgesamt zwar weit hinter denen von Videos, dennoch stieg die Hörerzahl von Podcasts in den letzten Jahren[4]. Zum Verständnis des Mediums Podcast sollte jedoch beim Beginn der Entwicklung angefangen werden.

2.3.1 Die Technik 🔗

Podcasts basieren auf einer RSS-Feed genannten Technologie[5], die es ermöglicht, Webinhalte zu verbreiten. Mit einem Computerprogramm kann man den RSS-Feed eines Anbieters abonnieren, um über neue Inhalte informiert zu werden. Typischerweise wird diese Technik von Nachrichtenseiten und Blogs genutzt. Wenn ein neuer Beitrag hinzugefügt wird, erscheint dessen Titel, (Anreißer-)Text und Link zu der spezifischen Webseite in der Software (vgl. Sauer 2007: 40 f.).

Grafik Lage der Nation
Abbildung 1: Darstellung des Podcasts »Lage der Nation« als RSS-Feed (links) und in der iOS-Podcast-App »Pocket Casts« (rechts). eigene Screenshots.

2000 erweiterte der Programmierer Dave Winer die RSS-Spezifikation um den sogenannten Enclosure-Tag, sodass ein Eintrag zusätzlich auf eine Mediendatei (z. B. MP3) verweisen kann (vgl. Quirk 2015 und Sauer 2007: 76). Mit einer weiteren Änderung im Jahr 2003 machte es Winer möglich, Audio-Inhalte im Internet zu abonnieren und bei Erscheinen automatisch herunterzuladen (vgl. Quirk 2015). Die dafür geeigneten Programme nennt man Podcatcher (vgl. Fiene/Horn 2011: 125).

2.3.2 Entstehung des Begriffs „Podcast“ 🔗

Damit waren die technischen Voraussetzungen für Podcasts geschaffen worden, die damals aber noch gar nicht diesen Namen trugen. Der Journalist Christopher Lydon nannte es Audioblogging (vgl. Quirk 2015), was die technische Verbundenheit von Podcasts mit Blogs deutlich macht. In einem Artikel des britischen Guardian stellte Ben Hammersley 2004 die Frage, wie diese neue Form des Amateurradios genannt werden solle: „Audioblogging? Podcasting? GuerillaMedia?“ (Hammersley 2004). Letztlich setzte sich der Begriff Podcast durch, eine Wortneuschöpfung aus iPod, einem MP3-Player der Firma Apple, und broadcast, dem englischen Begriff für Sendung bzw. senden (vgl. Heise 2014: 1). Apple veröffentlichte im Juni 2005 ein Podcast-Verzeichnis als Teil der damals populären Musiksoftware iTunes (vgl. Apple 2005), wodurch sich die Verbreitung von Podcasts schlagartig erhöhte. Richard Berry stellt fest, dass sich die Anzahl der Google-Ergebnisse für den Suchbegriff Podcast von etwa 6.000 in 2004 auf über 61 Millionen in 2005 erhöhte (vgl. Berry 2006: 144), was die enorme Zunahme der Popularität dieses Begriffs um die Jahre 2004/2005 verdeutlicht.

2.3.3 Push- und Pull-Medium 🔗

Die technische Definition von Podcasts in Kapitel 2.3.1 zeigt, was sie von einfachen Audiodateien im Internet, die manuell heruntergeladen werden müssen, unterscheidet. Berry führt aus, dass sie auch in Bezug auf Push- und Pull-Medien eine Sonderstellung einnehmen. Bei Push-Medien, z. B. linearem Radio, verläuft der Kommunikationsfluss einseitig vom Sender zum Empfänger, d. h. der Empfänger kann außer der Wahl des Senders die Inhalte nicht beeinflussen. Bei Pull-Medien hingegen steuert der Nutzer selbst, welche Inhalte er rezipieren möchte, wie es z. B. im Web üblich ist. Hier bestimmt der Nutzer, welche Links er anklickt und welche Inhalte er somit zu Gesicht bekommt. Bei Podcasts findet eine Mischung statt: Durch Abonnieren eines Podcasts und Abspielen einzelner Episoden findet ein Pull-Mechanismus statt, also eine aktive Auswahl. Ist ein Podcast abonniert, werden die Inhalte allerdings im Push-Verfahren ausgeliefert und der Nutzer erhält neue Folgen automatisch auf sein Gerät, sobald sie veröffentlicht werden (ebd. 156). Berry ergänzt: „Podcasts are therefore defined as content with the lazy benefits of push media but with all personalization features of pull media. This makes Podcasting ‚personalized media‘” (ebd.). Neben der freien Auswahl, selbst zu wählen, was man hören möchte, gilt dies auch in Bezug auf den Zeitpunkt (Zeitsouveränität) und den Ort (Ortssouveränität), weil die Inhalte bereits auf dem portablen Gerät wie einem MP3-Player oder Smartphone vorliegen (vgl. Markman/Sawyer 2014: 20 und 23).

2.3.4 Inhalte von Podcasts 🔗

Bis hierhin wurden die technischen Hintergründe von Podcasts und deren Effekte auf den Konsum erläutert. Diese erlauben es bestehenden Rundfunkanstalten wie den öffentlich-rechtlichen Radiosendern in Deutschland, Podcasts als Distributionskanal für bestehende Inhalte zu nutzen, die ursprünglich als Sendung für das lineare Radioprogramm produziert wurden. Mit dieser Zweitverwertung können die Inhalte den Gebührenzahlern auf weiteren Wegen zur Verfügung gestellt werden (vgl. Berry 2006: 149 und Markman/Sawyer 2014: 21).

Es gibt aber auch eine große Menge an Inhalten, die originär für das Medium Podcast erstellt werden und sich somit auch in der Form und dem Inhalt vom Radio unterscheiden. Beispiele sind Podcastunternehmen wie Gimlet Media aus den USA oder Viertausendhertz aus Deutschland, etablierte Medienunternehmen, die ursprünglich aus einem anderem Bereich als dem Audiobereich stammen[6], und nicht zuletzt die große Vielfalt der Hobby- und Ein-Personen-Podcasts. Als Inhalte für die Nische, die sich an ein thematisch spezialisiertes, aber geografisch zerstreutes Publikum richten, beschreibt Nele Heise unabhängige Podcasts (vgl. Heise 2014: 2). Hinzukommt, dass Podcaster und Hörer eine engere Bindung als im Radio erreichen können, wie Berry beschreibt:

„These characteristics of intimacy and blindness shared with Podcasts enable Podcasting to reach individuals and groups not normally found in mainstream radio, as the listener may feel that the producer is ‘one of them’, a member of their community, whether defined by geography, ethnicity, culture or social group” (Berry 2006: 148).

Er ergänzt, dass es sich bei Podcasts um eine Graswurzelbewegung handele, ohne Hierarchien und mit gegenseitiger Unterstützung:

„What Podcasting offers is a classic ‘horizontal’ media form: producers are consumers and consumers become producers and engage in conversations with each other. At a grassroots level there is no sense of a hierarchical approach, with Podcasters supporting each other, promoting the work of others and explaining how they do what they do” (ebd. 146).

Podcasts ermöglichen es somit allen Menschen, mit geringen technischen Voraussetzungen selbst zu Medienproduzenten zu werden und klassische Gatekeeper zu umgehen (vgl. Markman/Sawyer 2014: 21; siehe auch Kapitel 2.1.3 dieser Arbeit).

3 Methodik 🔗

Im vorherigen Kapitel wurde aufgezeigt, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse bereits zu den Bereichen Journalismus, Aktivismus und Podcasts vorhanden sind. In diesem Kapitel wird erläutert, welche Forschungslücke sich daraus ergibt und mit dieser Arbeit bearbeitet werden soll. Dafür werden Forschungsfragen aufgestellt und die Untersuchungsmethode dargestellt.

3.1 Forschungslücke und Forschungsfragen 🔗

Journalismus ist eine Profession, die hierzulande eine lange Tradition besitzt und deshalb auch schon lange von Forschern betrachtet wird. Auch Aktivismus ist kein neues Phänomen, weshalb Philosophen, Soziologen und Politikwissenschaftler auch hierüber zahlreiche Untersuchungen angestellt haben. Die Veränderungen, die sich in diesen beiden Bereichen durch das Internet und die zunehmende Vernetzung der Gesellschaft ergeben, sind der Wissenschaft ebenfalls nicht entgangen (siehe Kapitel 2.1.3 und 2.2.1). Da die Geschwindigkeit der Entwicklung in diesem Bereich sehr hoch ist, kann die Wissenschaft ihre Erkenntnisse zu den teilweise sehr jungen Kommunikationsmöglichkeiten und Protestformen nur mit einer zeitlichen Verzögerung publizieren. Zu Podcasts besteht auch wissenschaftliche Literatur, wie sie in Kapitel 2.3 zusammengefasst wurde. Allerdings hält sich deren Umfang in Grenzen, wenn man bedenkt, dass dieses Medium seit über zehn Jahren existiert.

Die drei im Forschungsstand aufgeführten Themenbereiche wurden also für sich schon wissenschaftlich betrachtet. Mit dieser Arbeit soll jedoch ein spezifischer Blick auf deutschsprachige Podcasts mit politischen Inhalten geworfen und untersucht werden, wie deren Moderatoren, Produzenten und Verantwortliche (Podcaster)[7] die Inhalte und ihre eigene Rolle in dem Feld von Journalismus bis Aktivismus einordnen. Die forschungsleitende Fragestellung dieser Arbeit lautet deshalb: Welches Verständnis ihrer Rolle und ihres Formats haben deutschsprachige Podcaster in Bezug auf Journalismus und Aktivismus und wo verlaufen mögliche Konfliktlinien zwischen diesen Systemen? Eine solche Betrachtung ist in der wissenschaftlichen Literatur nicht zu finden, weshalb diese Forschungslücke mit der Beantwortung folgender Forschungsfragen explorativ bearbeitet werden soll:

  • Was verstehen deutschsprachige Podcaster unter den Begriffen Journalismus und Aktivismus?
  • Bezeichnen sie ihren Podcast als Journalismus oder Aktivismus?
  • Bezeichnen sie sich selbst als Journalisten oder Aktivisten?
  • Aus welchen Gründen podcasten sie?
  • Welche Bedeutung hat die Interaktion mit den Hörern für sie?
  • Welche Konfliktlinien zwischen den Systemen Journalismus und Aktivismus ergeben sich?

3.2 Forschungsfeld und Untersuchungsmethode 🔗

Im Bereich der Kommunikationswissenschaften ist die Untersuchung in das Feld der Kommunikatorforschung einzuordnen, die sich mit Medienakteuren befasst. Als Erhebungsmethode wurden ausschließlich qualitative Experteninterviews genutzt, die der empirischen Forschung zuzuordnen sind. Für die Interviews wurde ein Leitfaden erstellt (siehe Anhang). Der Vorteil dieser Vorgehensweise gegenüber anderen Interviewformen (z. B. narrativen Interviews) ist, dass eine gewisse Struktur und somit Vergleichbarkeit gewährleistet ist, jedoch keine Antwortvorgaben gemacht werden und der Interviewer zusätzliche, sich aus dem Gespräch ergebende Fragen stellen kann.

3.2.1 Erhebungsmethode: Experteninterview 🔗

Wie Bogner, Littig und Menz herausstellen, wird das Experteninterview „nicht über eine bestimmte methodische Vorgehensweise definiert“ (Bogner et. al. 2014: 9), sondern es „definiert sich vielmehr […] über den Gegenstand seines Interesses: den Experten“ (ebd.). Dabei drängt sich natürlich die Frage auf, welche Personen als Experten eines Themengebiets gelten (können). Durch die immer stärker voranschreitende Spezialisierung der Gesellschaft liegt es nahe zu sagen, jeder Mensch sei auf seinem Fachgebiet ein Experte (vgl. ebd. 10). Meuser und Nagel bestätigen, dass der Begriff Experte relativ und vom jeweiligen Forschungsinteresse abhängig ist (vgl. Meuser/Nagel 1991: 443). Damit sei jedoch nicht ein Experte im Sinne eines externen Gutachters gemeint, sondern Personen, „die selbst Teil des Handlungsfeldes sind, das den Forschungsgegenstand ausmacht“ (ebd.). Bogner et. al. definieren Experten im wissenschaftlichen Sinn als Personen,

„die sich – ausgehend von einem spezifischen Praxis- oder Erfahrungswissen, das sich auf einen klar begrenzbaren Problemkreis bezieht – die Möglichkeit geschaffen haben, mit ihren Deutungen das konkrete Handlungsfeld sinnhaft und handlungsleitend für Andere zu strukturieren“ (2014: 13; Hervorhebung vom Verfasser entfernt).

Experteninterviews sind bei dieser Arbeit die zentrale Untersuchungsmethode und nicht etwa eine Ergänzung zu einer quantitativ angelegten Studie. Damit ist allerdings noch nicht geklärt, welches Wissen durch die Interviews generiert werden soll. Bogner, Littig und Menz unterscheiden zwischen technischem Wissen, Prozesswissen und Deutungswissen (2014: 17 f.). Im Fall dieser Untersuchung handelt es sich um Deutungswissen, da die Sichtweisen, Deutungen und Interpretationen der Podcaster bezogen auf ihr Rollenverständnis in Erfahrung gebracht werden sollen (ebd. 18). Diese „subjektive Dimension des Expertenwissens“ (ebd. 25) wird zur Theoriegenerierung genutzt, indem durch die Analyse des Materials Parallelen und Unterschiede sichtbar gemacht, Zusammenhänge aufgezeigt und Theorien entwickelt werden (vgl. ebd.).

Als Gesprächspartner für die leitfadenorientierten Interviews wurden sechs in Deutschland lebende Personen ausgewählt, die an einem Podcast mitwirken, dessen Inhalt im weitesten Sinne einen Bezug zu aktueller Politik hat. Das Sampling fand auf Basis verschiedener Faktoren statt, z. B. der physischen Entfernung zum Standort des Autors (Berlin), der verschiedenen Hauptberufe der befragten Personen, der unterschiedlichen Formate der Podcasts und deren Verbreitung. So sind oder waren die Podcasts Lage der Nation und Logbuch:Netzpolitik auf den vorderen Plätzen der iTunes-Charts, veröffentlichen regelmäßig und haben nach Angaben der Produzenten mehrere zehntausend Hörer. Die Podcasts Die Anachronistin und Metrolaut haben nach Angabe der Produzenten Hörerzahlen im drei- bzw. vierstelligen Bereich. Die Anachronistin hebt sich von den beiden erstgenannten durch die sehr persönliche Erzählweise ab; bei Metrolaut ist meiner Meinung nach eine zum Teil starke Identifizierung der Podcaster mit den behandelten Themen zu erkennen.

Alle Interviews wurden in Berlin oder Köln in Privat-, Büro- oder Vereinsräumen im direkten Gespräch geführt. Der Zeitraum beläuft sich vom 6. bis 16. Februar 2017. Es wurde jeweils eine Tonaufzeichnung angefertigt, die sich im Anhang befindet. Die Aufnahmen wurden anschließend vollständig transkribiert, um sie auswerten zu können. Dabei wurde der Wortlaut so gut es geht beibehalten. In einigen Fällen, in denen ein Wort einem Satz hinzugefügt wurde, um dessen Sinn zu vervollständigen, oder ein unvollständiger Satz, der inhaltlich keine Relevanz hatte, entfernt wurde, wurde das Hinzufügen oder Auslassen durch eckige Klammern gekennzeichnet. Auf eine aufwendige Notation wie zum Beispiel der Pausen und Stimmlagen wurde verzichtet, da diese für die Erfassung des in Experteninterviews geteilte Wissen nicht wichtig sind (vgl. Meuser/Nagel 1991: 455).

3.2.2 Interviewpartner 🔗

Nachfolgend sind die sechs interviewten Personen mit je einer kurzen Beschreibung aufgeführt:

Philip Banse ist freier Journalist und arbeitet unter anderem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Seit über zehn Jahren macht er Podcasts unter dem Label Küchenstudio. Im März 2016 startete er gemeinsam mit Ulf Buermeyer den Podcast Lage der Nation, in dem sie wöchentlich über das politische Geschehen in Deutschland und der Welt sprechen.

Ulf Buermeyer ist Richter am Landgericht Berlin und Vorsitzender des Vereins Gesellschaft für Freiheitsrechte. Gemeinsam mit Philip Banse macht er den wöchentlich erscheinenden Podcast Lage der Nation, in dem sie über deutsche und internationale Politik berichten. Buermeyer ist außerdem Redakteur der Zeitung für höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht und schreibt in unregelmäßigen Abständen für das Blog Netzpolitik.org.

Nora Hespers ist freie Journalistin und arbeitet als Redakteurin, Autorin und Social-Media-Managerin für verschiedene öffentlich-rechtliche Radio- und Fernsehsender. Seit Dezember 2014 betreibt sie in ihrer Freizeit das Blog und den Podcast Die Anachronistin, in denen Sie die Geschichte ihres Großvaters Theo Hespers aufarbeitet, der Widerstandskämpfer im Dritten Reich war.

John F. Nebel ist Journalist und schreibt in der Freizeit in dem Blog Metronaut über Grundrechte, soziale Bewegungen und Netzpolitik. Diese Themen werden auch in unregelmäßigen Abständen im dazugehörigen Podcast Metrolaut behandelt.

Linus Neumann ist Diplom-Psychologe und arbeitet im Bereich IT-Sicherheit. Er ist einer der Sprecher des Chaos Computer Clubs und war bereits mehrmals als Sachverständiger bei Bundestagsanhörungen zum Thema Informationstechnologien zu Gast. Er macht gemeinsam mit Tim Pritlove den Podcast Logbuch:Netzpolitik, der über netzpolitische Themen und Ereignisse berichtet.

Tim Pritlove produziert hauptberuflich unter dem Label Metaebene Personal Media zahlreiche Podcasts, unter anderem Logbuch:Netzpolitik mit Linus Neumann. Außerdem ist er Mitglied des Chaos Computer Clubs, dessen Kongresse er früher organisiert hat. Pritlove war außerdem als Programmierer und Medienkünstler tätig.

3.2.3 Auswertungsmethode: Qualitative Inhaltsanalyse 🔗

Für die Auswertung der Interviews kommt die qualitative Inhaltsanalyse zum Einsatz. Wie bereits bei der Erläuterung der Erhebungsmethode in Kapitel 3.2.1 erwähnt, sollen damit Theorien entwickelt werden, die durch zukünftige Forschungsarbeiten verifiziert oder falsifiziert werden können. Bei der Auswertung dürfen die Aussagen der interviewten Personen nicht als „Fakten oder Sachinformationen, sondern als Deutungswissen“ verstanden werden (Bogner et. al. 2014: 75). Ziel ist es also, die Strukturen ihres Handelns und zugrundeliegende Normen, Regeln und persönliche Ansichten zu erfassen. Basierend auf dem Forschungsstand wurde deshalb ein Kategoriensystem entwickelt. Mittels deduktivem Vorgehen, also dem Ausgehen vom Allgemeinen und der anschließenden Verfeinerung in Unterkategorien, wurden Codes entwickelt, denen die Aussagen der Interviewpartner zugeordnet werden können. Als übergeordnete Dimensionen dienen Journalismus, Aktivismus sowie Motive. Die Dimension Journalismus fächert sich in die Variablen Definition, Rollenverständnis und Mediumverständnis auf. Diese stehen also für die Aussagen der Podcaster, die sie zu der Definition von Journalismus, zum Verständnis ihrer Rolle als Person und zum Verständnis ihres Podcasts als Format in Bezug auf Journalismus gemacht haben. Dabei ist zu beachten, dass die Variablen nicht immer trennscharf voneinander abgegrenzt werden können, weil sich das Rollen und das Mediumverständnis zum Teil überlagern. Eine Zusammenfassung dieser Variablen hätte aber weniger Raum für die Analyse gelassen. Bei der zweiten Dimension, Aktivismus, wurde jedoch genau dies gemacht und nur auf die Variablen Definition und Selbstverständnis gesetzt. Es erscheint schwierig, eine aktivistische Haltung zu einem Thema (Rollenverständnis) in einem Podcast (Medium) komplett auszublenden. Die dritte Dimension, Motive, wird in die Variablen Gründe für Podcasting und Bedeutung Hörerinteraktion aufgeteilt. Zu allen genannten Variablen gibt es jeweils eine Reihe von Indikatoren, zu aufgrund der Anzahl tabellarisch aufgeführt werden:

DefinitionRollenverständnisMediumverständnis
  • Nutzt Beispiele
  • Haltung ja/nein
  • Nutzt Fachtermini
    • objektiv/neutral/ausgewogen
    • transparent
    • autonom/unabhängig
    • Trennung Werbung/redaktioneller Inhalt
    • faktentreu
    • eigene Recherche
    • Themenauswahl
    • Öffentlichkeit herstellen
    • Einordnen/erklären
    • Nachrichtenfaktoren
    • Trennung Information/Meinung
    • Quellenprüfung
  • objektiv/neutral/ausgewogen
  • transparent
  • autonom/unabhängig
  • Trennung Werbung/redaktioneller Inhalt
  • Faktentreu
  • eigene Recherche
  • Themenauswahl
  • Öffentlichkeit herstellen
  • Einordnen/erklären
  • Nachrichtenfaktoren
  • Trennung Information/Meinung
  • Quellenprüfung
  • kennt Gesetze und Kodizes
  • arbeitet journalistisch
  • objektiv/neutral/ausgewogen
  • transparent
  • autonom/unabhängig
  • Trennung Werbung/redaktioneller Inhalt
  • Faktentreu
  • eigene Recherche
  • Themenauswahl
  • Öffentlichkeit herstellen
  • Einordnen/erklären
  • Nachrichtenfaktoren
  • Trennung Information/Meinung
  • Quellenprüfung
  • Nutzung bestehender Berichterstattung
  • befolgt journalistische Kriterien
Tabelle 2: Indikatoren der Dimension Journalismus. eigene Darstellung
DefinitionSelbstverständnis
  • politische Teilhabe
  • Bedürfnisse ausdrücken
    • politisches, wirtschaftliches oder soziales System verändern
    • Status quo beibehalten
  • geistige Komponente
    • Weitergabe von Wissen und Erfahrung
    • Koordinierung von Gruppen
  • materielle Komponente: echte Veränderung der Politik
  • Bürger-orientiert (Wahlen und Engagement in Parteien)
  • Ursachen-orientiert (Demonstrationen, Lobbyismus, Onlineproteste)
  • politische Teilhabe
  • Bedürfnisse ausdrücken
    • politisches, wirtschaftliches oder soziales System verändern
    • Status quo beibehalten
  • geistige Komponente
    • Weitergabe von Wissen und Erfahrung
    • Koordinierung von Gruppen
  • materielle Komponente: echte Veränderung der Politik
  • Bürger-orientiert (Wahlen und Engagement in Parteien)
  • Ursachen-orientiert (Demonstrationen, Lobbyismus, Onlineproteste)
Tabelle 3: Indikatoren der Dimension Aktivismus. eigene Darstellung
Gründe für PodcastingBedeutung Hörerinteraktion
  • Spaß/Unterhaltung
  • Wissensvermittlung
  • Nähe zu Hörern
  • Ausführlichkeit
  • geringe Einstiegshürde
  • Diskurs
  • Special Interest
  • Themensetzung
  • bessere Vermittlung Sarkasmus/Humor
  • Konsumierbarkeit Hörer
  • Diskurs
  • Fehlerkorrektur
  • Informationen ergänzen
  • Lob/Bestätigung
  • Verbesserungs-/Themenvorschläge
  • Ausgleich fehlender Statistik
Tabelle 4: Indikatoren der Dimension Motive. eigene Darstellung

Die Interviewtranskripte und die Indikatoren (Codes) wurden anschließend in das Computerprogramm MAXQDA 12 importiert bzw. eingepflegt. Damit lassen sich einzelne Wörter, Sätze oder längere Textabschnitte Codes zuordnen, um anschließend eine komfortable und übersichtliche Auswertung vornehmen zu können.

4 Auswertung 🔗

Für die Auswertung der Interviews werden Verbindungen oder Unterschiede zwischen den Aussagen gesucht und dargestellt. Da drei der sechs Befragten hauptberuflich als Journalisten arbeiten (Nora Hespers, Philip Banse und John F. Nebel), können z. B. deren Aussagen mit denen der drei weiteren Personen[8] verglichen werden. Es sind aber auch jegliche anderen Vergleichskonstellationen und das Herausgreifen einzelner, für die Forschungsfragen bedeutender Aussagen möglich.

4.1 Begriffsdefinitionen 🔗

4.1.1 Journalismus 🔗

Alle Personen wurden in den Interviews gefragt, was sie unter dem Begriff Journalismus verstehen. Philip Banse, Nora Hespers und John F. Nebel, die alle drei hauptberuflich als Journalisten arbeiten, nannten dabei Faktentreue und Recherche als Merkmale von Journalismus. Zu den Merkmalen Objektivität, Neutralität bzw. Ausgewogenheit äußerten sich ebenfalls alle drei. Banse und Hespers wählten statt des umstrittenen Begriffs Objektivität eher Formulierungen, die auf die praktische Handhabung dieser Regel im Alltag hindeuten wie „einen Sachverhalt […] aus so vielen Perspektiven, wie es praktisch möglich ist, zu beleuchten“ (Interview mit PB ab 05:07)[9]. Nebel nannte das Abfragen vieler Positionen ebenfalls, positionierte sich aber eindeutig gegen das „Postulat der Objektivität“ (Interview mit JN ab 05:35), da es sich immer um eine Frage der Perspektive handele und es deshalb keine objektive Berichterstattung gebe. Die mit Objektivität/Neutralität verbundene Trennung von Information und Meinung wurde von Hespers als einziger explizit genannt.

Die Journalismus-Merkmale Faktentreue und Recherche wurden von Ulf Buermeyer, Tim Pritlove und Linus Neumann nur vereinzelt genannt. Zu dem Bereich Objektivität/Neutralität äußerte sich Buermeyer, Journalismus sei für ihn „die strukturierte Sammlung von Fakten auf der Suche nach einer objektiven Wahrheit“ (Interview mit UB ab 04:50) und ist damit der einzige der Befragten, der den Begriff der Objektivität zur Definition von Journalismus nutzt. Tim Pritlove sagte zu diesem Punkt, eine Haltung sei immer vorhanden (vgl. Interview mit TP ab 18:20), womit seine Aussage Nebels ähnelt. Neumanns Definition ist am wenigsten formalisiert; er nutzt dafür einige Beispiele. Er und Buermeyer sind die einzigen, die das Einordnen bzw. Erklären als Aufgaben des Journalismus nennen.

Es bleibt festzuhalten, dass alle Interviewten grundsätzlich eine klare Vorstellung haben, was die Tätigkeiten von Journalisten sind. Die drei hauptberuflich als Journalisten tätigen Gesprächspartner verwenden dabei eine etwas formalere Definition als die drei anderen Befragten.

4.1.2 Aktivismus 🔗

Bei ihren Definitionen des Begriffs Aktivismus nannten drei der Befragten, nämlich Ulf Buermeyer, John F. Nebel und Philip Banse, das Erreichen eines politischen Ziels oder den „Einsatz für […]eine politische Sache“ (Interview mit JN ab 10:17) als Motivation für Aktivisten. Dies korreliert mit den Merkmalen politische Teilhabe und der materiellen Komponente des Aktivismus aus dem Forschungsstand. Banse sah bei Aktivisten außerdem das Ziel, die Gesellschaft mit einer ganz bestimmten Agenda zu verändern. An dieser Stelle nahm er eine Abgrenzung des Journalismus vom Aktivismus vor, weil unterschiedliche Schwerpunkte bestünden:

„Auch Journalisten wollen wahrscheinlich, dass sich die Gesellschaft verändert, aber ich glaube, der Schwerpunkt ist ein anderer. Sie arbeiten nicht primär, um die Gesellschaft in eine ganz bestimmte Richtung zu verändern, sondern ich verstehe das so, dass sie primär die Gesellschaft dazu in die Lage versetzen wollen, um sich selber zu verändern“ (Interview mit PB ab 09:42).

Tim Pritlove hat ein ähnliches Verständnis des Begriffs und beschrieb Aktivisten als Menschen, die durch das Einwirken auf die Gesellschaft konkrete Veränderungen hervorrufen wollten (vgl. Interview mit TP ab 16:55).

Nora Hespers nannte, wie auch Tim Pritlove und Linus Neumann, politische Ziele nicht als Motiv des Aktivismus und sieht prinzipiell eher die Überzeugung und Aktivierung anderer Menschen, die Gründung von Gruppen oder das Organisieren von Demonstrationen als Tätigkeitsfelder. Außerdem sei entscheidend für Aktivismus, dass man „klar erkennbar auf einer Position“ stehe (Interview mit NH ab 14:55). Buermeyer äußerte sich dazu ähnlich und sagte, „die meisten Aktivisten haben sich ja irgendeiner These verschrieben“, die dann gnadenlos durchgezogen werde (Interview mit UB ab 11:35). Er sieht darin einen Grund, warum Aktivismus von vielen Menschen kritisch gesehen werde, weil einmal gesetzte Ziele eben nicht mehr kontinuierlich hinterfragt würden (vgl. ebd. ab 11:23). Linus Neumann lieferte weniger eine Definition, sondern nutzte seine Antwort eher, um sein persönliches Handeln hinsichtlich Aktivismus zu bewerten. Er stellte jedoch klar, dass der Begriff für ihn keine positive Bedeutung habe (vgl. Interview mit LN ab 28:55) und deutete an, dass er genutzt werden könne, um die Aktivitäten einer Person als durch deren Geltungsdrang begründet abzuwerten (vgl. ebd. ab 30:50).

Insgesamt wurden fast alle Aspekte der wissenschaftlichen Aktivismus-Definition genannt, wofür meistens aber andere Begriffe genutzt wurden. Gar nicht in der Definition angesprochen wurden der Bürger-orientierte Aktivismus, der vor allem Wahlen und das Engagement in Parteien meint sowie die Möglichkeit, dass Aktivismus statt einer Veränderung auch den Erhalt bestehender Verhältnisse zum Ziel haben kann.

4.2 Journalismus: Rollen- und Mediumverständnis 🔗

Im Forschungsstand wurde bereits definiert, wie Journalismus und auch die Rollenbezeichnung Journalist von der Wissenschaft und der Praxis definiert wird. Dabei kommt häufig eine Definition zustande, die die Bezeichnung von der Ausübung der Tätigkeit als Hauptberuf oder zumindest zu einem erheblichen Teil entgeltlich abhängig macht. In diesem Kapitel soll diese Definition außer Acht gelassen und geschaut werden, wie die befragten Podcaster ihre Rolle und ihr Medium selbst bezeichnen.

4.2.1 Rollenverständnis 🔗

Das Rollenverständnis der drei hauptberuflich als Journalisten tätigen Personen, Nora Hespers, Philip Banse und John F. Nebel, soll als erstes in den Blick genommen werden. Hier ist festzuhalten, dass bei diesen Personen die Fragen des Autors in den Interviews leider die erwartete Bezeichnung schon enthielten. Eine Frage lautete zum Beispiel: „An deinem Rollenverständnis, da ist klar, du bist Journalist, das ist ja auch dein Hauptberuf“ (Interview mit PB ab 08:48). Für die Zukunft wäre eine neutralere Fragestellung an dieser Stelle ratsam. Banse antwortete auf diese Frage sehr eindeutig mit einem einfachen „ja“ (ebd.), was als Zustimmung zu seiner allgemeinen Berufsbezeichnung als auch zu seiner Rolle im Podcast interpretiert werden kann. Bei Hespers und Nebel ist aufgrund der Fragestellung nicht eindeutig erkennbar, ob sie für sich die Berufsbezeichnung Journalist verwenden. Das Wissen über ihre hauptberuflichen Tätigkeiten als Journalisten legt dies aber nahe. Da die Fragen konkret auf ihre Rolle im Podcast abzielten, können hierzu Aussagen getroffen werden. So sprach Nebel von „einer berichterstattenden Rolle oder auch einer journalistischen Rolle, vielleicht ist es journalistisch-aktivistisch“ (Interview mit JN ab 09:26) und ergänzte, er möge Grenzgänge, in denen der Journalist plötzlich Aktivist sei, in dem er sich beispielsweise bei einer Demonstration an Meinungsäußerungen beteilige. Hespers gab an, sich mit der Rolle, die sie in ihrem Podcast hat, nicht besonders beschäftigt zu haben. Sie habe die Geschichte ihres Großvaters erzählen wollen, weil sie in der aktuellen Zeit eine Notwendigkeit gespürt habe (vgl. Interview mit NH ab 12:25). Sie könne in der Form des Podcasts zwar eine journalistische Erzählweise (Story- telling) erkennen, betonte aber anschließend, dass sie meinungsmäßig „sehr vorbelastet“ sei und keinen Abstand zu der Geschichte gewinnen könne (ebd. ab 13:00). Eine konkrete Aussage, ob sie sich bei ihrem Podcast in einer journalistischen Rolle sieht, machte sie nicht, aber aufgrund ihrer Journalismus-Definition und der genannten Einschränkungen ist nicht davon auszugehen.

Die drei anderen Gesprächspartner, Neumann, Buermeyer und Pritlove, drückten zur Erklärung ihres Rollenbildes ihre hohe Anerkennung für den Beruf des Journalisten aus. Buermeyer begründete damit und mit der Tatsache, dass er keine journalistische Ausbildung gemacht habe und im Alltag zu wenig Journalismus betreibe, dass er sich selbst nicht Journalist nennt (vgl. Interview mit UB ab 08:40): „Da schrecke ich vor zurück. Das ist letztlich ein Respekt vor der Arbeit von, in Anführungsstrichen, richtigen Journalisten, die eben ihr ganzes Leben da reinstecken“ (ebd. ab 09:06). Neumann sagte, er denke nicht, selbst „nennenswert journalistisch tätig“ zu sein (Interview mit LN ab 27:20). In diesem Kontext weist er unter anderem auch auf seine Tätigkeit als Sprecher des Chaos Computer Clubs hin, bei dem er „im Prinzip PR-mäßig beschäftigt“ sei (ebd.). Auch Pritlove bezeichnet sich nicht als Journalist, sondern sieht sich als „Moderator, der sich in einem journalistischen Umfeld bewegt“ (Interview mit TP ab 13:54). Das Fehlen einer journalistischen Ausbildung nannte auch er in diesem Kontext und gab an, nie eine besondere Expertise in der Quellenprüfung angestrebt zu haben (vgl. ebd.). Pritlove sprach allerdings auch davon, sich in einem Denkprozess über seine Rolle zu befinden und sich zu fragen, ob die eigens geschaffene Öffentlichkeit nicht auch zu einer größeren Verantwortung führe, die einem eine journalistische Arbeitsweise abverlange (vgl. ebd. ab 12:27). Später führte er aus:

„Nur jetzt Stand 2017 merken wir halt: Quellenprüfung ist sozusagen gar nicht mehr so ein Privileg einer bestimmten Gruppe, die das dann für einen macht, sondern es ist halt im Anblick der Informationsverteilungskriege, in denen wir uns jetzt befinden, quasi erste Bürgerpflicht, sich dieses Wissen auch überzuhelfen“ (ebd. ab 14:12).

Das Rollenverständnis in Bezug auf Journalismus zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die drei Personen, die hauptberuflich nicht in Redaktionen tätig sind, sich nicht als Journalisten bezeichnen. Ihr Podcast als Freizeitprojekt und zum Teil die fehlende Ausbildung passen nicht mit ihrer Auffassung des Berufs- bzw. Rollenbildes zusammen. Tim Pritlove, der hauptberuflich Podcasts produziert und moderiert, macht sich aber verstärkt Gedanken über seine öffentliche Wirkung und die damit einhergehende Verantwortung. Die Positionen Hespers’, Banses und Nebels, die hauptberuflich in Redaktionen eingebunden sind bzw. als Freiberufler regelmäßig mit ihnen zusammenarbeiten, sind aufgrund einer suboptimalen Fragestellung nicht so eindeutig festzustellen, wie es wünschenswert wäre. Aufgrund der Interpretation und dem Kontext außerhalb der Interviews ist aber anzunehmen, dass sich grundsätzlich alle als Journalisten bezeichnen. Dies trifft bei Hespers und Nebel in ihren Podcasts jedoch nicht oder nur mit Einschränkungen zu.

4.2.2 Mediumverständnis 🔗

Nachdem es im vorherigen Kapitel um die Aussagen der Interviewten zu ihrem Rollenverständnis ging, geht es jetzt um ihr Mediumverständnis, also um die Frage, wie sie ihr Medium (den Podcast) in Bezug auf Journalismus einordnen. Die Personen differenzieren nämlich zum Teil, wie im Folgenden zu lesen ist, zwischen den Formulierungen Journalist sein und journalistisch tätig sein.

Die Podcaster Linus Neumann und Tim Pritlove, die in ihrem Podcast Logbuch:Netzpolitik (LNP) circa wöchentlich über aktuelle netzpolitische Themen berichten, sagten beide, sie griffen hauptsächlich auf die journalistische Arbeit anderer Medien zurück (vgl. Interview mit LN ab 10:08, Interview mit TP ab 27:18). Zur Sendungsvorbereitung beschrieb Neumann seinen Arbeitsablauf als das Sammeln interessanter Artikel, die er am Abend vor einer Sendung durchsehe und daraus Themen bilde (vgl. Interview mit LN ab 06:43). Seine Hauptquellen seien die Medien Netzpolitik.org, Heise Online, Golem.de, Zeit Online, Spiegel Online, Süddeutsche Zeitung und Tagesschau.de (ebd. ab 08:05). Pritlove nutzte zur Beschreibung des Formats die Formulierung „kuratierter Blick in die Presselandschaft“ (Interview mit TP ab 27:22) und gab an, „so neutral es geht zu berichten“ (ebd. ab 17:20). Pritloves und Neumanns Aussagen stimmten in dem Punkt überein, dass die Eigenleistung ihres Podcasts im Kern das Erklären, Einordnen und Interpretieren der vorgetragenen Nachrichten sei (Interview mit LN ab 10:15, Interview mit TP ab 28:05). Nur in Ausnahmefällen seien sie die Primärquelle von Nachrichten (vgl. Interview mit TP ab 29:15). Neumann erklärte, es bestünde eine implizite Trennung von Information und Meinung, indem erst das jeweilige Thema vorgestellt und im Anschluss die eigene Meinung geäußert würde (vgl. Interview mit LN ab 25:50). Ihre Haltung sei den Hörern dabei klar (ebd. ab 59:10), aber es sei dennoch wichtig, auch die Gegenseite wertneutral darzustellen (ebd. ab 24:20). Zu diesem Aspekt erwähnte Pritlove noch die ausführliche Sammlung von Links zu den Primärquellen bei jeder Episode, die zum Lesen und Nachschlagen einladen würden (vgl. Interview mit TP ab 29:00).

Zur Einordnung von LNP sagte Tim Pritlove zwar, der Podcast werde in zunehmendem Maße journalistisch und nannte in diesem Kontext die Aspekte „akribische[s] Verfolgen des Nachrichtenstroms“ sowie die Überprüfung, die zunehmend wichtiger würden (ebd. ab 16:26), bezeichnet LNP aber nicht als Journalismus. Neumann äußerte sich dazu folgendermaßen:

„Ich halte ‚Journalist’ für eine relativ hohe Auszeichnung, Bezeichnung und denke, dass LNP in der Regel nicht journalistisch ist. Einfach weil ich das anmaßend fände, das so zu bezeichnen. Weil es eben quasi eine Abwertung wäre von dem Rechercheaufwand und der Arbeit, die andere Journalisten betreiben“ (Interview mit LN ab 21:08).

Der Podcast von Ulf Buermeyer und Philip Banse, Lage der Nation (LdN), erscheint wie LNP in der Regel wöchentlich und berichtet ebenfalls über Politik, wobei kein Fokus auf ein bestimmtes Politikfeld gelegt wird. Auch Buermeyer und Banse sagten in den Interviews über die LdN, die Informationen würden aus etablierten Medien bezogen (vgl. Interview mit UB ab 01:54, Interview mit PB ab 07:44), wofür Buermeyer den Begriff „Meta-Journalismus“ verwendete (Interview mit UB ab 07:05). Allerdings betonten beide, für die Zukunft einen größeren Anteil eigener Recherche im Podcast haben zu wollen (vgl. Interview mit UB ab 02:00, Interview mit PB ab 08:30). Schon jetzt würden einzelne Aspekte selbst recherchiert, aber das sei noch limitiert. Banse sagte, es sei eigentlich sein Plan, „da mehr Geld rein zu kriegen, um […] mehr Zeit reinstecken zu können, um besseren Journalismus damit machen zu können“ (Interview mit PB ab 08:37).

Die Richtigkeit der Fakten ist beiden ein Anliegen (vgl. Interview mit UB ab 00:55, Interview mit PB ab 16:06) und auch beim Ziel des Podcasts decken sich ihre Aussagen: So sagte Banse, es gehe ihm darum, den Kontext zu den Informationen herzustellen (vgl. Interview mit PB ab 16:11). Buermeyer, der von Beruf Richter ist, nannte auch das Erklären allgemein als gesetztes Ziel und nannte spezifisch das Straf- und Verfassungsrecht, das er besser analysieren könne, als es sonst im Journalismus vorkomme (vgl. Interview mit UB ab 03:15). Zu der Tätigkeit des Einordnens und Analysierens äußerte er sich außerdem, „einen neutralen Journalismus gibt es sowieso nicht“ (ebd. ab 08:10), aber betonte die deshalb nötige Transparenz und nannte seinen offenen Umgang mit seiner Parteimitgliedschaft als Beispiel (vgl. ebd.).

Die Frage, ob die LdN Journalismus sei, beantworteten sowohl Philip Banse als auch Ulf Buermeyer positiv (vgl. Interview mit PB ab 07:40, Interview mit UB ab 06:51). Buermeyer fügte hinzu, er glaube, sie arbeiteten in dem Podcast journalistisch und versuchten, die klassischen Standards einzuhalten (vgl. Interview mit ab 08:40).

Nora Hespers’ Podcast heißt Die Anachronistin und handelt von der Geschichte ihres Großvaters, der nach Hitlers Machtergreifung Deutschland als Widerstandskämpfer verließ und aus dem Ausland operierte. Sie interviewt für Die Anachronistin unter anderem ihren Vater und nutzt Einblicke in persönliche Dokumente ihres Großvaters. Ihre Erzählweise der Geschichte sei

„natürlich schon deswegen nicht Journalismus, weil sie völlig subjektiv ist und total meinungsgefärbt aufgrund der Dinge, die ich erlebe [..] in dieser Geschichte. Das kann ich, glaube ich, guten Gewissens nicht als Journalismus verkaufen“,

sagte Hespers über ihr Format (Interview mit NH ab 11:50). Sie nutze jedoch journalistische Techniken für die Recherche, um damit ihre Hörer von dieser Arbeit zu entbinden (vgl. ebd. ab 10:50 und 11:37) und „verspreche, so gut wie möglich die Fakten zu recherchieren“ (ebd. ab 12:08). Relativ früh im Interview machte sie folgende Aussage, die die Vorteile des Podcasts gegenüber ihrer bezahlten Arbeit als Journalistin verdeutlicht:

„[I]ch muss nicht wöchentlich liefern, ich muss nicht eine bestimmte Zahl an Minuten füllen, ich muss nicht in ein Format passen, ich muss keine journalistischen Anforderungen erfüllen, ich muss keinem Redakteur gerecht werden […]. Das lässt mir schon viel Freiheit im Gegensatz zu einem klassischen Medium, wo ich aber auch als Journalistin natürlich unter einem anderen Anspruch arbeiten muss“ (Interview mit NH ab 04:44).

Es fehlt noch John F. Nebel, der in dem unregelmäßig erscheinenden Podcast Metrolaut häufig über soziale und politische Themen spricht. Er schien sich nicht sicher zu sein, ob er den Podcast dem Journalismus zuordnet: „Ich weiß nicht, ob das Journalismus [ist], ja doch, es ist schon irgendwie Journalismus, klar“ (Interview mit JN ab 09:13). Zuvor hatte er gesagt, der Podcast sei „ein Hobby, was Spaß macht“ (ebd. ab 08:40) und es erfreue ihn, wenn er anderen damit eine Freude machen könne. Er erläuterte außerdem, dass sich durch ein gemeinsames Essen mit den Gästen im Vorfeld einer Sendung ausführlich darauf eingestimmt würde, wodurch eine „heimelige Atmosphäre“ entstehe (ebd. ab 04:34). Anscheinend soll mit dem Podcast also eine Nähe zu den Hörern geschaffen werden.

Wir schon im vorherigen Kapitel erwähnt, gab Nebel an es zu mögen, sich bewusst in Situationen zu bringen, in denen eine Vermengung der berichterstattenden und der persönlich-involvierten Rolle stattfindet. Später im Interview, nach seinem Verständnis nach Aktivismus gefragt, wiederholte er die Aussage, weil man dadurch „aufklärerisch tätig sein“ könne (ebd. ab 10:55).

Als Erkenntnisse dieses Kapitels können mehrere Punkte genannt werden. Erstens waren in den beiden Fällen, in denen je zwei Podcaster des gleichen Podcasts unabhängig voneinander befragt wurden, überwiegend eine übereinstimmende Ansicht über die Ziele, Arbeitsweisen und die Einordnung des Podcasts in Bezug auf Journalismus vorhanden. Zweitens nutzen diese beiden Podcasts hauptsächlich journalistische Informationen, die von anderen, häufig etablierten Medien erstellt werden. Eine mögliche Erklärung dafür sind die vergleichsweise kurzen Intervalle zwischen zwei Sendungen, die es für ein Freizeitprojekt schwierig machen, eigene Recherchen anzustellen. Die Verantwortlichen dieser beiden Podcasts nennen drittens journalistische Grundsätze wie Faktentreue, die Trennung von Information und Meinung, Transparenz und Quellenprüfung, an denen sie sich orientieren. Auch eine Wertung der Themenrelevanz wird erwähnt, allerdings ohne das Schlagwort Nachrichtenfaktoren. Eine Einordnung der Inhalte wird als besonders wichtig aufgefasst und bildet den eigentlichen Mehrwert gegenüber den Primärquellen.

Im Podcast Die Anachronistin wird eine Familiengeschichte erzählt, weshalb die Podcasterin bewusst ein nicht-journalistisches und subjektives Format produziert. Damit bietet es ihr Freiheiten, die sie in ihrer hauptberuflichen Tätigkeit nicht hat. Anders als die zuvor beschriebenen Podcasts schafft sie neue Inhalte für den Podcast, wofür sie auch journalistische Arbeitsweisen wie die Recherche anwendet.

Der Podcast Metrolaut lässt sich anhand der Interviewantworten am schwierigsten einordnen. Er wird zwar als Journalismus beschrieben, allerdings nennt John F. Nebel keine konkreten Arbeitsweisen, die sich an journalistischen Kriterien orientieren. Anscheinend liegt ein Gespräch mit Gästen in entspannter Atmosphäre im Vordergrund, bei dem es primär darum geht, sich in neue Themenwelten zu begeben.

4.3 Aktivismus: Selbstverständnis 🔗

Wie bereits in Kapitel 3.2.3 erklärt, werden die Aussagen der Interviewten zu ihrer Person und zu ihrem Podcast zusammen als Selbstverständnis untersucht. Zum einen sind die Antworten hier meist weniger differenziert und es erscheint hier schwieriger als beim Journalismus, eine scharfe Trennlinie zwischen einem aktivistischen Rollenverständnis und einem aktivistischen Mediumverständis zu ziehen.

Philip Banse sagte im Interview, er versuche, Aktivismus im Podcast „auf ein Minimum zu beschränken“ (Interview mit PB ab 11:20). Sein Ziel sei es nicht, die Hörer von seiner Meinung zu überzeugen, sondern ihnen neue Perspektiven auf Themen zu eröffnen bzw. sie dafür zu interessieren (vgl. ebd. ab 16:40). Als Aktivist bezeichnet er sich nicht (ebd. ab 12:19).

Auch sein Podcast-Kollege Ulf Buermeyer sieht sich selbst nicht als Aktivist (vgl. Interview mit UB ab 10:36), obwohl er manchmal von anderen so beschrieben werde (ebd. ab 11:03). Er nannte allerdings einige Errungenschaften wie das Grundgesetz, Menschenwürde und Demokratie, die er für verteidigungswert halte, sodass man ihn und Banse als „Aktivisten für unsere Verfassungsordnung“ sehen könne (ebd. ab 09:45). Diese Ansicht könnte der wissenschaftlichen Auffassung zugeordnet werden, Bedürfnisse nach dem Beibehalten bestehender Verhältnisse auszudrücken sei Aktivismus. Buermeyer gibt außerdem an, Mitglied einer politischen Partei zu sein. Dieses Engagement kann dem Bürger-orientierten Aktivismus zugeordnet werden. Zu seinem Selbstverständnis äußerte er sich zudem, Ziele nur so lange zu verteidigen, wie er sie „rechtlich und politisch für sinnvolle halte“ (ebd. ab 11:23). Aus seiner Definition (siehe Kapitel 4.1.2) geht hervor, dass er mit Aktivismus die Unterstützung einer Sache oder These versteht, ohne diese zu hinterfragen. Davon grenzt er sich ab.

Linus Neumann hatte Aktivismus ebenso wie Buermeyer als negativ konnotiert wahrgenommen (siehe Kapitel 4.1.2). Er sieht Aktivismus offenbar weniger als freiwillige Entscheidung, sondern als notwendige Form des Widerstands gegen Verhältnisse, die ihm missfallen:

„Ich betreibe Aktivismus, aber ich betreibe den Aktivismus ja nicht, weil ich gerne Aktivismus betreibe, sondern weil ich ja gezwungen bin. Also ich muss mich ja irgendwie wehren mit den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen. […] Wenn die Welt in Ordnung wäre, würde ich mich anderen Dingen zuwenden können“ (Interview mit LN ab 29:50).

Trotz der Kritik an dem Begriff Aktivismus sieht er sich also aktivistisch. Die Unzufriedenheit mit bestehenden Verhältnissen kann nach der wissenschaftlichen Definition als das Ausdrücken des Bedürfnisses nach einer Veränderung des politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Systems gewertet werden. Den Podcast LNP bezeichnete Neumann nicht als Aktivismus (vgl. ebd. ab 33:29) und mutmaßte, dass LNP „auch deswegen ein erfolgreiches Konzept [ist], weil es eben nichts von diesen klassischen Begriffen [Journalismus und Aktivismus] zu 100 Prozent ist“ (ebd. ab 32:55).

Laut Tim Pritlove haben Aktivisten wichtige Themenbereiche erkannt, bei denen sie durch ein Einwirken auf die Gesellschaft etwas verändern wollen (siehe Kapitel 4.1.2). Im Interview sagte er, dass das „sicherlich auch ein Teil von Logbuch:Netzpolitik“ sei (Interview mit TP ab 16:54). Im weiteren Verlauf erläuterte er, sich selbst zwar nie als Aktivist gesehen zu haben, aber langsam in diese Rolle zu kommen (vgl. ebd. ab 19:27). Pritlove ist langjähriges Mitglied des Chaos Computer Clubs (CCC), dessen Veranstaltungen er in der Vergangenheit organisiert hat.  Bei der Befragung nannte er sein Engagement im CCC „Community-Arbeit“, weil er die Infrastruktur und Angebote als Basis für andere, aktivistisch tätige Personen geschaffen habe (ebd.). Im Forschungsstand werden solche Tätigkeiten als geistige Komponente des Aktivismus bezeichnet, die die Weitergabe von Wissen und Erfahrung sowie die Koordinierung von Gruppen beinhalte.

John F. Nebel und Nora Hespers sehen sich beide in einer aktivistischen Rolle. Nebel ist der einzige, der die Frage, ob er sich Aktivist nenne, mit „ja“ beantwortete (vgl. Interview mit JN ab 11:11). Aspekte, die er darüber hinaus nannte, wurden schon in vorherigen Kapiteln betrachtet: Er sehe sich im Podcast in einer „journalistisch-aktivistisch[en]“ Rolle (ebd. ab 09:28) und berichtete in Metrolaut unter anderem über die Gezi-Proteste in Istanbul. Diese können dem Ursachen-orientierten Aktivismus zugeordnet werden. Ähnlich wie Banse erklärte er aber auch, mit dem Podcast nicht die Meinung der Zuhörer formen zu wollen, sondern Thesen in den Raum zu stellen (vgl. ebd. ab 15:20).

Hespers antwortete nicht eindeutig auf die Frage, ob sie selbst Aktivistin sei. Allerdings wirkt es bei ihr so, als verknüpfe sie mit dem Begriff nicht zwingend etwas Negatives (wie Buermeyer und Neumann), sondern sehe eher Voraussetzungen, die dafür erfüllt sein müssten. Sie erklärte nämlich, dass „Aktivismus vom Schreibtisch aus natürlich total schwierig“ sei (Interview mit NH ab 15:20) und begründete dies mit der Bequemlichkeit (vgl. ebd. ab 15:55).

Festzuhalten bleibt, dass sich die Podcaster sehr unterschiedlich in Bezug auf Aktivismus wahrnehmen. Banse und Buermeyer bezeichnen sich gar nicht als Aktivisten, Nebel nutzt diese Bezeichnung als einziger und Hespers, Pritlove und Neumann befinden sich in einem Bereich dazwischen, in dem sie aktivistische Tätigkeiten bei sich feststellen. Die unterschiedlichen Definitionen in Kapitel 4.1.2 machen aber deutlich, dass es hier weniger übereinstimmende Merkmale von Aktivisten gibt, was sich natürlich auch auf das Selbstverständnis auswirkt. Neumann und Buermeyer haben eine eher negative Konnotation des Begriffs, während andere den Begriff wertfreier (Pritlove) oder eher positiv (Hespers, Nebel) zu verwenden scheinen.

4.4 Gründe für das Podcasting 🔗

In diesem Kapitel werden die Antworten auf die Frage, aus welchen Gründen die Interviewten mit dem Podcasten begonnen haben, zusammengestellt.

Der Grund, der von allen und damit am meisten genannt wurde, ist die Nähe zu den Hörern. Podcasts wurden als sehr persönliches Medium mit hoher Authentizität beschrieben (vgl. Interview mit UB ab 03:30, Interview mit TP ab 02:33, Interview mit LN ab 42:08, Interview mit PB ab 03:16, Interview mit NH ab 03:40, Interview mit JN ab 16:15). Stichworte, die in diesem Zusammenhang ebenfalls fielen, sind Authentizität (vgl. Interview mit TP ab 23:00) und die Erreichbarkeit der Podcaster über Twitter, E-Mail und die Kommentarspalte (vgl. Interview mit PB ab 03:16, Interview mit NH ab 05:05). Die genannte Nähe könnte auch mit den Vorteilen der gesprochenen gegenüber der geschriebenen Sprache zusammenhängen. Sowohl Buermeyer als auch Neumann betonten, dass Emotionen bzw. humorvoll oder sarkastisch gemeinte Aussagen viel besser von den Hörern verstanden werden könnten, als von Lesern eines Artikels (vgl. Interview mit UB ab 04:20, Interview mit LN ab 40:34).

Ein weiterer Bereich, der als positives Merkmal von Podcasts identifiziert wurde, ist die gute Vermittelbarkeit komplexer Sachverhalte, die von vier Befragten genannt wird (vgl. Interview mit UB ab 03:30, Interview mit TP ab 01:19, Interview mit LN ab 37:28, Interview mit PB ab 19:10). Nora Hespers und Tim Pritlove nannten in diesem Kontext außerdem die Möglichkeit, mit Podcasts sehr gezielt eine Gruppe von Menschen ansprechen zu können, die sich für das Thema interessiere. Sie nutzten dafür das Wort „Nische“ (Interview mit TP ab 10:30, Interview mit NH ab 05:07). Pritlove führte aus:

„Man kann sagen, das ist für euch, das ist genau euer Interessengebiet und ich liefere euch das auf eine Art und Weise, wie man sich sehr einfach an einer Debatte beteiligen kann trotz hochkomplexer Materie, die mit einem verhältnismäßig geringen Zeitaufwand ein hohes Maß an Verständlichkeit liefert […]. Und dann ist das ein Angebot, wo Zeitungen, Fernsehen, auch das normale Radio […] eigentlich gar nicht mithalten können. […] Ein 24-Stunden-Radiosender kann solche Nischen nicht ansprechen, das passt schon konzeptionell nicht“ (Interview mit TP ab 09:30).

Die im Zitat angesprochene Debatte ist ein weiterer Grund für das Podcasten, der außer von Pritlove auch von Buermeyer und Banse angesprochen wurde. Buermeyer sagte im Interview, es gebe zu wenig gepflegte Gespräche im Internet und im Fernsehen, weshalb sie diese Lücke füllen wollten (vgl. ab 00:16). Philip Banse beschrieb seinen Ansatz, mit weniger festgelegten Meinungen in die Sendung zu gehen, sondern Gespräche mit offenem Ausgang zu führen, bei denen die Podcaster voneinander etwas lernen könnten und im Anschluss durch einen Austausch auch die Hörer in diesen Prozess eingebunden würden (vgl. Interview mit PB ab 02:30).

Neumann und Nebel erwähnten die Länge eines Podcasts als einen weiteren positiven Faktor. So sei ein durchschnittlicher Themenblock bei LNP zehn bis zwanzig Minuten lang, was Neumann länger als die durchschnittliche Zeit einschätzt, die beim Lesen einer Zeitung für ein Thema aufgewendet wird (vgl. Interview mit LN ab 39:22, Interview mit JN ab 02:58).

Weitere Aspekte seien der Spaß am Podcasten (vgl. Interview mit LN ab 00:40, Interview mit PB ab 13:00, Interview mit JN ab 17:30) sowie die geringen Einstiegshürden (vgl. Interview mit UB ab 01:15, Interview mit JN ab 00:54), die als Gründe angegeben wurden, die Podcasts gestartet zu haben.

Zwei jeweils nur einmal genannte Gründe sollen zum Schluss auch noch Erwähnung finden. So nannte Nora Hespers die Freiheit, sich nicht an journalistische Regeln und andere Bedingungen ihres Berufsalltags halten zu müssen, als einen Vorteil (vgl. Interview mit NH ab 04:44, siehe auch Kapitel 4.2.2). Für Neumann gehe es darum, „dass das ein kostenloses Angebot ist, von Idealisten gemacht für Idealisten auf idealistischer Plattform“ (Interview mit LN ab 56:04). Damit zielt er auf die in Kapitel 2.3.1 aufgeführten offenen Web-Standards ab, die Podcasts anders als geschlossene Plattformen wie Facebook oder YouTube nicht von einem oder wenigen kommerziellen Anbietern abhängig machen, sondern deren dezentralen Aufbau fördern.

Betrachtet man die Gründe für das Podcasten fällt auf, dass Podcasts anders als viele klassische audiovisuelle Medien wie das Radio und das Fernsehen auf eine stärkere Nähe zu den Hörern setzen und ein Gespräch auf Augenhöhe zum Ziel haben. Die Vermittlung komplexer Sachverhalte, die Vorteile der gesprochenen gegenüber der Schriftsprache und der Spaß am Podcasten selbst werden ebenfalls oft genannt.

4.5 Interaktion mit den Hörern 🔗

Dieses letzte Kapitel des Auswertungsteils befasst sich mit den verschiedenen Formen der Interaktion zwischen Podcastern und Hörern. Hier sind klare Unterschiede zwischen den circa wöchentlich erscheinenden, eher nachrichtlich orientierten Podcasts LNP und LdN auf der einen Seite und den beiden anderen Podcasts Metrolaut und Die Anachronistin zu erkennen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass hier Unterschiede auch mit den unterschiedlich hoch ausfallenden Hörerzahlen (siehe Kapitel 3.2.1) zusammenhängen können.

Von drei der zu LNP oder LdN gehörenden Personen wurde gesagt, dass in den Kommentarspalten Diskurse oder Debatten stattfänden, wodurch das Gespräch im Podcast erweitert werde (vgl. Interview mit UB ab 13:30, Interview mit TP ab 25:43, Interview mit PB ab 18:50). Banse sagte dazu, es sei zu sehen,

„dass es tatsächlich auch so ein Forum ist für die Leute, um sich untereinander auszutauschen. Also die reden und kommunizieren gar nicht immer, habe ich den Eindruck, primär mit uns, sondern ja auch viel untereinander“ (Interview mit PB ab 18:50).

Weitere Aspekte, die von den LdN- und LNP-Verantwortlichen genannt werden, sind die Fehlerkorrektur, Verbesserungsvorschläge und inhaltliche Ergänzungen, die von Hörern er- und eingebracht würden (vgl. Interview mit UB ab 17:50, Interview mit LN ab 44:10, Interview mit PB ab 16:30).

Darüber hinaus werden die Äußerungen der Hörer auch als Lob oder Bestätigung ihrer Arbeit angesehen, sagten Neumann und Hespers, was letztere mit dem „Applaus nach einem Konzert“ verglich (Interview mit NH ab 06:11, vgl. Interview mit LN ab 45:15).

John F. Nebel betonte allgemein die im Vergleich zu anderen Medien gute Kommentarkultur:

„Das ist meistens viel einfühlsamer, netter. Die Leute haben schon lange was gehört und schreiben dann was und kotzen nicht irgendwie so einen Kommentar einfach hin. […] Das ist eigentlich das letzte Refugium von Kommentarkultur im Internet, habe ich so das Gefühl“ (Interview mit JN ab 12:06).

Ein letzter Punkt, der hier Erwähnung finden soll, ist die Möglichkeit, durch die Interaktion mit Hörern etwas über ihr Hörverhalten etc. zu erfahren. Benutzungsstatistiken sind gerade im Internet eigentlich sehr verbreitet, weil man durch vielfältige Tracking-Methoden und vor allem die Kontrolle einer geschlossenen Plattform wie Facebook oder YouTube die Aktivitäten der Nutzer sehr gut aufzeichnen und analysieren kann. Der dezentrale Ansatz des Podcastsystems (siehe Kapitel 2.3.1) schränkt derartige Methoden aber stark ein. Buermeyer, Pritlove und Banse gaben deshalb an, durch die Interaktion mit den Hörern über das Internet oder bei persönlichen Begegnungen auf Veranstaltungen o. ä. mehr über die Meinung der Hörer zu ihrem Programm oder die Zusammensetzung der Hörerschaft erfahren zu wollen (vgl. Interview mit TP ab 25:55, Interview mit PB ab 13:35, Interview mit UB ab 18:34).

5 Fazit und Ausblick 🔗

Mit dieser Arbeit sollte durch einen explorativen Ansatz ein Einblick in die Selbstwahrnehmung deutschsprachiger Podcaster bezogen auf ihre Rolle und ihre Podcasts geschaffen werden. Die forschungsleitende Fragestellung lautete, welches Verständnis ihrer Rolle und ihres Formats deutschsprachige Podcaster in Bezug auf Journalismus und Aktivismus haben und wo mögliche Konfliktlinien zwischen diesen Methoden verlaufen. Darauf und auf die einzelnen Forschungsfragen hin (siehe Kapitel 3.1) soll im Folgenden die Auswertung aufgegriffen und resümiert werden.

Von dem Begriff Journalismus und den Tätigkeiten von Journalisten haben alle Gesprächspartner eine Vorstellung und nutzten dabei auch Begriffe aus der Journalistik. Aktivismus wird weniger homogen aufgefasst und ist aus Sicht einiger Befragter negativ konnotiert. Auch in dessen Definition fanden sich Übereinstimmungen mit der Wissenschaft, allerdings wurden fast ausschließlich andere Begriffe benutzt.

Die Gesprächspartner machten unterschiedliche Aussagen dazu, ob sie sich als Journalisten oder Aktivisten sehen. Die drei hauptberuflich als Journalisten tätigen Personen sehen sich grundsätzlich in dieser Rolle. Hespers nutzt ihren Podcast aber auch bewusst, um eine Geschichte nach ihrer Vorstellung und ohne Beachtung aller journalistischen Kriterien zu erzählen. Nebel versteht sich in seinem Podcast in einer journalistisch-aktivistischen Rolle, wohingegen bei Hespers die aktivistische Rolle dominiert. Buermeyer und Banse machen sich den Begriff nicht zu eigen. Pritlove äußert, sich in einem Denkprozess über seine Rolle zu befinden. Er bezeichnet sich weder als Aktivist noch als Journalist, aber seine Äußerungen legen sowohl journalistische als auch aktivistische Züge seiner Tätigkeit nahe. Neumann kritisiert den Begriff Aktivismus und möchte sich deshalb selbst nicht als Aktivist bezeichnen, bestätigt aber gleichzeitig, Aktivismus zu betreiben, um sich gegen ihm widerstrebende Zustände zu wehren.

Ihren Podcast Lage der Nation bezeichnen sowohl Ulf Buermeyer als auch Philip Banse als Journalismus. Dabei beschränken sie sich wie Logbuch:Netzpolitik hauptsächlich auf die Wiedergabe von Artikeln anderer Medien, die sie um ihre Einschätzung und Interpretation ergänzen. Beide hegen den Wunsch, in Zukunft durch mehr Einnahmen die eigene Recherche ausweiten zu können. Ihren Podcast bezeichnen sie nicht als Aktivismus. Tim Pritlove und Linus Neumann sehen ihren Podcast nicht als Journalismus, aber nutzen journalistische Arbeitsweisen. Auch Aktivismus sei Teil von LNP.

Als Gründe für das Podcasten werden vor allem die persönliche Ansprache und die damit verbundene Nähe zu den Hörern genannt, die bei Podcasts möglich seien. Auch die Vermittlung komplexer Sachverhalte und ein gutes Gespräch werden als Ziele genannt.

Die Interaktion mit den Hörern besteht vor allem aus einer Diskurserweiterung, aus Verbesserungen und Fehlerkorrekturen, die die Hörer über Kommentare auf der Webseite hinterlassen und dort diskutieren können. Auch als Bestätigung und Lob der meist unentgeltlichen Arbeit werden Rückmeldungen der Hörer geschätzt.

Die letzte zu beantwortende Forschungsfrage lautet, welche Konfliktlinien sich zwischen den Methoden Journalismus und Aktivismus ergeben. Die Antworten der Befragten zeigen, dass einige von ihnen eine Überschneidung zwischen journalistischer und aktivistischer Tätigkeit für akzeptabel halten. Nebel sieht sogar einen Vorteil dieser Überschneidung, weil so andere Blickweisen gezeigt werden könnten. Die Möglichkeit einer objektiven oder vollkommen neutralen Haltung des Journalismus wird von allen Befragten verneint oder infrage gestellt und es wird darauf hingewiesen, dass schon die Auswahl der Themen und Fakten eine Wertung darstellt. Damit greifen sie Kritikpunkte an gängigen Journalismus-Definitionen auf, die auch die Wissenschaft aufstellt (siehe Kapitel 2.1.2). Banse grenzt den Journalismus aber in seiner Zielsetzung vom Aktivismus ab, da Journalismus die Gesellschaft zu einer Veränderung befähigen wolle, während Aktivismus eine bestimmte Agenda habe. Die von Neumann und Buermeyer geäußerte Kritik am Aktivismus-Begriff kann dem zugeordnet werden, weil sie darin das Verfolgen eines einmal gesetzten Ziels sehen, ohne dieses stetig zu hinterfragen.

Aus dem Forschungsstand ergibt sich aber auch, dass Aktivismus nicht so klar definiert ist wie Journalismus. Das liegt allein schon daran, dass Aktivismus, wenn er überhaupt hauptberuflich ausgeübt wird (Lobbyismus, Campaigning), nicht in dem Maße wie Journalismus organisiert ist, also durch Berufsverbände, gesetzliche Regeln und Selbstverpflichtungen.

Diese explorative Forschung kann aufgrund der geringen Fallzahl natürlich keine repräsentativen Ergebnisse erzielen. Deshalb wäre für die Zukunft eine weitere Bearbeitung dieses Forschungsfeldes wünschenswert, indem zum Beispiel größer angelegte Studien über die Podcaster, aber auch über die Hörer angefertigt werden.

Ich habe aus der Auswertung dieser Arbeit folgende Thesen und Hypothesen entwickelt, die durch eine solche Betrachtung verifiziert oder falsifiziert werden könnten:

  • Deutschsprachige Podcasts sind oft eine Hybridform aus Aktivismus und Journalismus.
  • Hobby-Podcaster empfinden ihren Podcast häufig als journalistisch, bezeichnen sich aber nicht Journalisten.
  • Weil Podcasts eine starke Bindung zu ihren Hörern aufbauen, werden sie als besonders glaubwürdig eingeschätzt.
  • Die Ausführlichkeit der Themenbesprechung und die bessere Übermittlung von Emotionen über die gesprochene Sprache führen zu einem vergleichsweise sachlichen und zivilisierten Ausdruck in den Kommentaren.

Fragen aus der Einleitung bleiben dennoch bestehen. Wo hört eine journalistische Meinungsäußerung auf, wann fängt Aktivismus an? Diese Frage kann die Wissenschaft weiter versuchen zu beantworten, aber sie muss auch von den Akteuren selbst zum konstanten Hinterfragen der eigenen Rolle genutzt werden.

Fußnoten

[1] In dieser Arbeit wird das generische Maskulinum verwendet. Damit sind selbstverständlich auch Frauen gemeint. Der Autor ist sich der Kritik an dieser Schreibweise bewusst, hat aber noch keine eindeutige Haltung dazu entwickelt, weshalb er bis dahin die ‚traditionelle’ Schreibweise nutzt.

[2] Die Übersetzungen aus dem Lateinischen ins Deutsche wurden aus dem Pons-Online-Wörterbuch (im Web unter http://de.pons.com/übersetzung) übernommen.

[3] DDoS steht für Distributed Denial of Service. Mit einer DDoS-Attacke wird der Server einer Webseite innerhalb kurzer Zeit mit einer so großen Anzahl von Anfragen konfrontiert, dass er unter der Last zusammenbricht und die Webseite nicht mehr erreichbar ist.

[4] Laut ARD/ZDF-Onlinestudie 2016 nutzen 13 Prozent der deutschen Onlinenutzer ab 14 Jahren zumindest selten Audio-Podcasts. Im Jahr 2012 waren es noch 4 Prozent (Schröter 2016: 443). Laut der gleichen Studie nutzen 59 Prozent der Befragten zumindest selten Videoportale; 2012 taten dies 45 Prozent (Kupferschmitt 2016: 449).

[5] RSS steht für Really Simple Syndication und ist ein Dateiformat zur Verbreitung von Webinhalten. Es basiert auf der Extensible Markup Language (XML), einer Auszeichnungssprache zur Darstellung strukturierter Daten. Es wird zum Austausch von Daten zwischen Computern verwendet (vgl. auch Winer 2003 und W3C 2006).

[6] Beispiele für Medien, die nicht aus dem Rundfunksektor stammen und Podcasts nutzen, sind The New York Times und die Rheinische Post, die mit The Daily und dem Aufwacher jeweils eigene Nachrichtenpodcasts anbieten (vgl. The New York Times 2017 und Rheinische Post 2016).

[7] Gerade bei kleineren Podcastproduktionen ist es üblich, dass alle oder zumindest viele Aufgaben wie Moderation, Produktion, Tonschnitt, Hörerbetreuung etc. von einer oder wenigen Personen durchgeführt werden. Deshalb wird hier primär der Sammelbegriff Podcaster verwendet, der sich auch im Alltagsgebrauch durchgesetzt hat.

[8] Tim Pritlove ist hauptberuflich als Medien- bzw. Podcastproduzent tätig und sieht sich selbst als „Moderator, der sich in einem journalistischen Umfeld bewegt“ (Interview mit Tim Pritlove ab 13:55) und nutzt für sich nicht die Bezeichnung Journalist. Linus Neumann und Ulf Buermeyer haben Hauptberufe, die eindeutig nicht dem Journalismus zuzuordnen sind (siehe auch Kapitel 3.2.2) Ihr persönliches Rollenverständnis wird in Kapitel 4.2.1 behandelt.

[9] Bei Zitaten aus den Interviews wird der Beginn einer Aussage jeweils als Zeitmarke im Format Minuten und Sekunden (mm:ss) angegeben. Für die Namen werden außerdem die Initialen als Abkürzung verwendet (siehe Abkürzungsverzeichnis).

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Eidesstattliche Erklärung 🔗

Ich versichere, dass ich meine Bachelorarbeit ohne Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Quellen und Hilfsmittel angefertigt und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Diese Arbeit hat in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner Prüfungsbehörde vorgelegen.

Jonas Schönfelder

Berlin, den 31.03.2017